oder er träumt sich, er sei’s – Wahn
verfügt Berge, warum
nicht ein glänzendes Wort? Diesem ersetzt der Name die Mitgift, er muss
ihn herausarbeiten, beiseitebringen. Meier z. B. heißt keiner, ypsilonlos
ist nichts zu machen, zumindest. Die böhmische Großmutter
zeigt sich da milder, sie sitzt
abseits, aber im Hirn schon. Womit spielt sie? Mit
Möglichkeiten, mit Vag- und Marg-
2
Ayers Aufsatz von einunddreißig: Nußschale, randhin
besetzt mit Ideen, am Ruder der Wille,
die Welt zu erobern. Die Welt? Die Welt.
Zweitausend Spezialisten, hinausgefahren,
ein Stück Welt zu ergattern, sagen wir:
eine Handvoll Erde. Ausgerüstet mit klarem Verständnis
der Worte ›GI‹, ›face-lift‹ und ›Sitting Bull‹.
3
Die Götter landen nur einmal –
Tumult im Morgengrauen, Omaha Beach.
Anders liegen die Dinge
vorher, anders danach. In manchen Genossen
stehen sie Kopf. Getrocknete Wespen,
haftend an der gewendeten Sanduhr,
hohl inwendig, mumifiziert lang
vor dem Aufwasch, der lässt
ruhig auf sich warten, wie billig.
4
Die Götter landen nur einmal –
schade nur, schade, das zweite Mal
wäre das rechte. Deshalb endet der Weg,
so wie er begann: unter Spielern,
denen das endlose Hin und Her zwischen vier Pfosten
den Kick gibt –.
Der kreisende Sand der Arena
erstickt leicht das Geschrei
der Getretenen. Hetzjagd am Morgen,
ein guter Beginn. Who comes next? Der sich umschaut,
findet schon, was er braucht, Belehrung
ist nicht vonnöten. Geräuschlos regelt
alles der Sand. Wen der Ton trifft,
er ist der Gezeichnete.
5
Im Anfang arg-, im Ausgang gnadenlos,
der Puls geht anders, wenn die Worte kommen:
frühreifer Schwenk in Kapillaren. Dort
bahnt es sich an, bevor es sich verbindet, Welt
um Welt. So Zahn um Zahn. Das Bluten,
es geht nicht weg. Gestillt wird keiner,
nur kaltgestellt. Sich schließende Vakanz
im Spiel der Wörter: Eines löst das andere
und löscht es aus. All dieses gibt
und gibt sich nicht, quecksilbrig blinkt
das Auge des Gedankens, aufgeschlagen
auf dies- wie jener Seite, unversehrt.
6
Sich nie bestimmen lassen, also nie
bestimmt sein, war es das? Molluske
im Spiel der Kräfte – war es das? Ein anderes
vielleicht, ein ganz –: der Lippe
kommt jeder Biss gelegen, ungeritzt
ist sie nur Haut und kein Organ
Wessen? Der Seele? Der vergeigten? Die Runde
geht an Kassandra, den Geburten Entronnene,
wiedergeboren. Todschick
unter den Weibern, ein verhängter Blick
verrät, wo es langgeht.
7
Michel S., Großmeister der Sinne,
macht einen überraschenden Fund.
An einfachen, klaren Gedanken,
einer Nussschale entstiegen,
fängt sich die Weise von Feuer, Luft, Wein und, unter uns, Gestank.
›La parure de la terre ne ment pas‹. Das ist schön
gesagt, Michel. So ein Wort, unter Tränen geschwenkt, (ver-)
steht jeder. Wie sich wehren? ›Die du mich liest, ungefrühstückt,
nur diesen Schluck Schwärze zwischen zwei Seiten:
Wenn du dich fönst, halt, halt ein vor den Spiegeln.
Wirf den Kopf in den Nacken, wispre mir nach,
ich will ihn gehen hören, abwesend: ruach (Atem,
der eins zwei drei mein Geworte
in Sand modelliert).‹
8
Die Wortschaufel achtlos auf die Tenne geworfen –
nicht sein Ding heut, da der Zorn,
Zorn in ihm umgeht auf seinem Felsen:
Guter Tag. Gleißendes Licht. Ein guter Tag,
den Sturz zu vollenden, den lange begonnenen,
nie geübten, erst langsam, langsam
wahr, für wahr genommenen Sturz in die Tiefe,
die nicht ist, ein Nichtsand, in dem die Metaphern
durchsichtig werden und das Verlangen verdirbt –
guter Tag. Schon vergaß er, was ihn verlor:
Wortreste ... zwei, drei Silben-Plättchen, achtlos
über den Steg gerollt, blinkend.
Komisch, das Schweigen heut, es trägt den
Brandgeruch.
In diese Sprache
1In diese Sprache, die
nicht seine ist, nicht seine sein
wird, niemals, spricht sich ein das Ich,
begehrlich, ganz, als ob es redend
sich stillte, ganz, als wüsste es
nicht, dass dies niemals eintritt, dass
der Durst, ansteigend, es
am Ende ansetzt und verschlingt: zu welchem Ende,
dem ersten besten – ? Aber nein, in seinem Haus
bleibt es zum Schluss allein, zum Schluss auf alles,
was sich bewegt...
Was Es bewegt, das schillernde vertraute,
die Blase, die davonschwebt, eine Welt mit sich
entführend, spiegelnd, wie man sagt,
verdoppelnd also (oder war es anders
gedacht?), doch nicht reell, nur diese Welt, die da ist,
um sich ergänzend, insofern sie nicht
da oder dort ist oder irgendwo,
und sich davonhebt, immerfort davon
(wovon? Von dem, was dableibt, unter sich
bleibt, unter sich – hebt es sich nicht davon?):
2
Sand, Sand zum Beispiel,
lose durch Finger rieselnd, Sand,
Empfindung ohnegleichen, pure
Empfindung, Zeit, mit sich allein
in einem Quentchen Haut, nur rieselndes
Empfinden, Fortgang ohne Halt –
es wäre also
ein anderer,
Bewusstseinssand,
kein Dies, nein, Ich, entrückt
dem leeren Beieinander, spannungslosem
Gefühl der Gegenwart, in dem sich nichts
begrenzt, – geborgter Sand, unwirklich überlegen
dem andern, und an einem Ort
anderer Art (existent nur durch Distanz),
kein Hier, ein Nirgendwo, in dem sich Welt
erfindet, in mir, Welt, fortrieselnd, dies und das
und jenes, und ein anderes, nichtdies, in ein
ums andere sich zerlegend und zu Neuem
sich fügend. (Neu? Gestern? Vordem
und dem und dem? Kein Denken hält
von ihm Gedachtes, es entfällt
ihm seit- und rückwärts, nur verwischte Spuren,
ein wenig Schmutz, der bleibt:) Welt...
in sich gelöst, sich lösend, anlasslos zergehend.
Sand, Nichtsand, nirgends
sich stauend, kornlos, ohne Widerspiel.
Im Innern bildlos.
3
Ich: Ort
des Zufalls: alles dies
ist deinetwegen, spricht
dich an, spricht: deinetwegen nicht.
Nur das ist die
Botschaft der Dinge (auch deine,
an dich): du störst nicht, störst
nur dich allein, der du mit allem
verständigt wärest, einverstanden, ein
Verstand, ein einziger, mit allem,
wäre es deinetwegen.
(Du kannst nicht anders, immer wieder fängst
du damit an. Vielleicht auch
fängt es mit dir ... gewiss, doch warum es?)
Das aber darf nicht sein. Das Denkende, es darf
nicht sein. Es sei denn als
Gedachtes unter andern, eins, das
zufällig anderes denkt und unter anderem sich.
Als eines, das den Zufall mitdenkt, der dank ihm
zwischen die Dinge tritt, sie hierhin, dorthin
lenkt wie im Spiel die Leere,
die rasch geschlossene, die Lücke
auf Lücke reißt, wann immer sie sich schließt.
4
Aus Schmerz Bewusstsein: die durchzuckte Qualle,
die sich zusammenzieht – grund-, hilflos –,
sie reißt sich los: wovon? Abstand: wovon? Von nichts
Genauem – alles
stürzt hinterdrein, wird Einfall, All,
gestirnter Himmel, roter Krebs, Dünung, Mondlicht,
Gehäuse, Zelle, Wand, an der die Schatten
tanzen, Schatten, an Fäden hängend, unsichtbar, vorbei,
vorbeigetragen von vermummten Magiern,
die sich ins Fäustchen kichern, während ihr
Schatten riesenhaft den Strand quert, sichtbar,
vor aller Augen, Augen, die, verbunden,
nach innen lauschen, summende Gehöre,
Geblick, Gedach-
tes, einsames Gedeck, ein Festes,
ein wenig Fläche, monddurchflossen,
ein Tellerlos im Sand,
in dem die Würmer ihren Gang,
als sei es keiner, abwärts
drücken, abwärts, ohne Halt.
5
Im Innern bildlos? Kein Wort
davon. Kein Wort
ist wahr davon. Oben, unten, innen, außen,
Distanz und Negation: die Orte,
Raum-Orte, fügen sich
einander zu, geben einander
Bescheid, auf Schlag und Abschlag. Geben
Bescheid. Der blutige Stumpf
macht nicht die Hand vergessen,
die man nicht sieht, die man
nicht – ?
Oben, unten,
außen, innen.
Kein Wort.
Entwurf einer Stimme
1Ich habe die Stimmen gelernt
und sie bedeuten mir viel.
Doch da jetzt meine beginnt, bemerke ich im Rauschen
der Luft, die am Gehörgang entlangstreicht,
im schüchternen Einsatz die Leere,
die noch nicht schöne, die ohne Stolz
mich sagen lässt: ich kenne sie nicht.
Ich kenne sie nicht. Aus welchem Grund sollte
sie mich wohl kennen? Wenn sie, aus Zufall, mich träfe,
was wäre es ihr? Ein Kindertraum? Ein verfehltes Erwachen?
Ein Pfiff, der sich langsam löst
von der umgebenden Wand, um rasch
in sich zu zerfallen. In was? In sich. Zerfallen also:
seltsames, sehr seltsames Stück, das sich da zeigt,
wenn ihm eins nachgeht.
2
Geht eins nach? Sie dort, die atemlos
fordernde Stimme, was immer sie fand – ein Ich, ein Ach –
... wie soll ich sagen? ›Es enthält mich.‹ So oder anders
hörte mans gern. Ein Stück Eis,
im Ton gefangen, im Moll, damits langsamer schmilzt,
ein wenig langsamer; dies scheint
viel und verblüfft viele.
Kaum dagegen verblüfft sie der Sprung
– nicht des Tigers, der andre, durch den
der Himmel blaut, Schweiger Azur –, dies
scheint wenig. Ein Riss, was sonst.
Auch mein energisch forschendes Ohr
macht ihn nicht aus. Nur ein dunklerer Ton
verrät ihn, verrät uns. Cirrus, innen im Klang-
körper, schwebt seitenverkehrt, wie auch sonst.
Vergiss die Kunst
1Vergiss die Kunst —
Sie hat dich schon. Nur
verglichen mit dem, was kommt,
scheint, was geht, wenig zu sein, fast nichts.
Auch geht es ja nicht, es
ging schon. Weniger wirklich
als das Wollen von gestern ist nichts, außer
es fängt sich im Heute, als wäre es
doppelt vorhanden. Befremdlich
wie jedes Wollen und also
doppelt befremdlich.
2
Geisterstunde.
Wem sie schlug, der fing
sich im Netz seiner Wahl.
Trickreich verschnürt an Schultern und Schenkeln
lernt er sich sparsam bewegen. Ein Schritt
wäre schon Ausbruch. Ein Schritt zuviel.
Ein Schritt zuwenig. Ein Schritt
in die Unterlassung. Dort
lebt es sich gut. Demnächst (so sagt man)
gehen die Enkel zur Schule. Wer hielte
sie auf? Niemand. Gepackt
stehen die Ranzen, Pooh der Bär
lächelt weise. Er weiß,
wo es langgeht.
3
Ein Schritt zuviel. Auch davon
ließe sich reden. Wir haben
dich gut verstanden, Zeno: Achill
ist jeder. Namenlos
bleibt die Schildkröte. Auch wäre es falsch, zu sagen,
sie sei langsam... langsamer jedenfalls
als ihr Verfolger. Wahr ist,
dass er aufholt. Wahr ist,
dass er versagt. Jeder Kindskopf
könnte es besser. Doch allen zum Trotz –
die Jagd bleibt spannend. Wer wettet,
hat ein gutes Gefühl. Heute, heute
wäre ein Tag zum Gewinnen. Heute
ergreift ihn der Satz: Alles ist möglich. Heute
wird es geschehen. Auf der Aschenbahn
stürzt kein Achill. 4
Der alte Herr
erhebt sich öfter als nötig, das Klirren
der nicht bedachten Tasse liefert den Grund
nach. Der Weg zum Kehrichteimer ist
gepflastert mit Melancholie:
Dieser Grund war nicht der rechte, der
andere, den er verdeckt, ihn öffnet
keiner der Gänge. Am Ende
wird er’s gewesen sein, den Vorteil
bietet das Alter. Nur der Geschmack
des nicht Lebbaren, er
wird stärker vielleicht mit den Jahren.
Durch die Verrichtungen,
die schütter gewordenen, schliert
Helichrysum Newii (das un-
geborgene).
– niente si trova meno reale
che la voluntà di ieri –
Orakel
1Gott oder Göttin – Göttin wohl eher –,
was sagt deine Auskunft? Nichts,
was ich nicht wüsste. Oder
wenn ich's nicht wüsste, zu wissen
begehrte, mit allen Fasern
nicht zu wissen begehrte. Mit allen Fasern,
die, erfüllt schon vom Wissen,
es mir verweigern, verweigern.
2
Warum auch sollen sie reden?
Haben sie Gründe? Wenn ja,
möchten sie teilen? Wohl kaum.
Ich also, ich teile, womit?
Stich, Sonne! ... Nichts. Von allem im Stich
gelassen – dem Buch, den Gezeiten,
der Sonne zuletzt – geb ich (woher
hab ich's genommen?) mein Ein-
verständnis, geb es dahin, ungeteilt.
3
Denn das Begehren wird maßlos
zu Zeiten. Wissen, was kommt,
ist das mindeste. Jedermann weiß es. Keiner
hebt es sich auf. Warum? Jeder meint,
es kommt wieder. – Vielleicht, vielleicht nicht.
Woher die Klarheit? Bei mir
– da niemand zuhört, sei es gesagt –
herrscht keine Klarheit. In nichts
stellt sie sich her. Doch wer
gibt etwas für nichts? Niemand, niemand,
soviel ich weiß. Nicht dass ich wüsste. Nur solche, die wissen,
kenne ich schon. Ich weiß, sie geben nichts ab
in dem zähen Spiel, in dem sie auf Bauernfang gehen.
Ihnen wird genommen. Doch da
sie nicht abgeben wollen, so fällt
es ihnen nicht weiter auf.
4
Sie sind versorgt. Wie nicht? Aber
angenommen – aus Vorsicht –, es kommt
nicht wieder, gerade nicht, fehlt
wie dann am Ende der Stein
– welcher? Sie gingen dahin,
war nicht einer, der sagte,
passt auf, ihr werdet mich brauchen,
nicht einer dabei –,
angenommen, man fände
Grund, es zu halten, hielte
es sich? C'est la question.
Wissen, was kommt,
ist das mindeste. Es zergeht
in der Sonne.
Nicht ganz.
So und nicht anders
So und nicht anders gedacht: warum? Wir können die Gründenicht mit Bestimmtheit nennen. Kein Gewissheitsindex
gibt Auskunft. Es muss wohl Ursachen haben,
die sich entziehen: Streit-, Trunksucht, Laster
heimlicher Art – ... alles Bestimmte bestimmt
neu sich (bestimmt) im Fluss der Gedanken,
die kommen und gehen, als wäre für sie
kein Hergang zu weit. Sie stürmen
ins Unbestimmte hinaus und reißen
mit sich, was anliegt, bis es, erschöpft und erschrocken
– gehetztes Wild, sehnlich erwartete Beute –
abfällt, am Horn des Problems.
Bibliothek
Bescheiden fast, mit diesem etwas starren,die Situation fragend meisternden Totenblick,
der einer überlebten Verwunderung
hinter starken Gläsern unvermutete Dauer verleiht,
den Kopf, das Balzac-Haupt, leicht geneigt
über dem achtlos aufgeblätterten Futteral,
während ein mattes Blau
sanft die Szene beherrscht,
hockende halb, halb liegende Gestalt,
von verdrehten Extremitäten gerahmt, deren Griffe
in einem kaum begonnenen Jenseits
erstarrten, den Winkel
zwischen zwei Bücherregalen füllend,
mit dem Gesäß den Boden, mit Hinterkopf und Genick
die Bretter berührend, im Fokus des sich in alle Richtungen
öffnenden Raumes – halb Bibliothek, halb Kathedrale –,
der das hoch einfallende Licht
zu gelassener Ehrerbietung herabdämpft.
Gezeitigte Figur, deren schmächtiger Einlass
wetteifert mit der Weite des umgebenden Raumes
(Öffnung, die den neuralgischen Punkt der Geschossbahn,
ihren Eintritt ins Innere des vielfach umhüllten Körpers
unauffällig markiert, verdeckt, fast verdeckt durch die verschobene,
moosgrüne Krawatte über dem zarten Blau,
das nicht ausreichend anliegt, um an dem schwachen
Pulsieren, das auf der weißen, sich schnell färbenden Hemdbrust
kreisförmige Wellen hervortreibt,
Anteil zu nehmen): ein Zeichen,
dessen stille Bedeutung dem Einklang entspringt
zwischen dem einen Betrachter
und dem im Verrinnen fixierten
Objekt ... Stilleben oder nature morte,
die Phantasie ungesättigt lassendes Mal,
das dem nach innen gleitenden Blick
Jagden freigibt auf zerstückelte Leiber,
in Handkoffern deponiert oder in Toilettenrohre versenkt,
aus Schlamm und Schotter geborgene Frauenkörper,
unter deren bröckelnder Kruste ein elfenbeinerner Teint
den Weg zu seinen verschwiegenen,
doch zahlreichen Liebhabern findet...
Inmitten umgeworfener, aus den Regalen
geschleuderter Bücher das doppelbödige Glück:
flüchtiges Innehalten angesichts
des angreifenden Raumes, knapper
Triumph im heimlichen Entsetzen
vor diesem regungslosen Andrang auf
das Kartenhaus, das ihn enthält, den schweigenden
Besucher als Komplizen – fast –,
im Auf-der-Schwelle-Züngeln, angerührt
durch die Umständlichkeit des Untergangs,
die zeremonielle Entfaltung
der als Gnade getarnten Vernichtung.
Geheimer Rat
Sie holten den Alten bei Nachtmit Handschuhen und Atemschutz vorm Gesicht.
Sorgfältig hoben sie ihn aus dem Katafalk,
nur ein Knistern hier und dort zeigte an,
wie heikel ihre Mission war, wie vorsichtig sie zu Werk gehen mussten,
um nichts zu zerstören. Schließlich ergriff
einer Feger und Schaufel und besorgte den Rest.
Sie nahmen den Spatel und kratzten am Gesicht.
Es lag still, nahezu teilnahmslos. Spinnwebengleich
hing das Gewebe und fleckte die Knochen.
Sie arbeiteten rasch, lagen gut in der Zeit, manchmal
stieg ein Glucksen in ihnen auf. Ihre Achtung
vor dem, der da lag, stammte aus anderen Zeiten.
Auch war es, genau genommen, nicht ihre.
Genau genommen hätten sie jeden
geholt, so wie ihn, denn das hier war Auftrag.
Sie wussten (und es tat gut, zu wissen), dass sie die Stellung,
die sie heute bekleideten, dem Talent ihrer Hände verdankten,
einem Talent, das ihnen so weit enteilt war,
dass es auf sie (oder ihr Denken, wie sie es nannten), zurückkam
wie ein Geschick oder ein unabweisbarer Mechanismus.
Also folgten sie dem Spiel ihrer Hände: den kurzen,
manchmal kaum merklichen Stößen von Daumen und Zeigefinger, den matten
oder beflügelten Schwenks der mindern Akteure,
achtlos gesteuert vom raschen Spiel der Gelenke,
die sich im gleichmäßig sanften Operationslicht entblößten,
als könnten sie mehr: blass, geschäftig und fügsam,
nicht ohne Nerv fürs Gewerbe, Tänzer und Tänzerin.
Herzsinn
Wo, lieber Paul, wowohohowo
liegt sie, die
handschuhfach-
mündige
nelkenblakende
Stimme
wohohowo
Dis-
parate
Zungen
(natter-)
blühen
über
dem Gletscherfirnis,
Gletscher-
wirrnis – : (oh!)
Gletscher-Ge-Sprenkel-Ge-Funkel-Ge-sunkel-Ge-
s u n k e l : Ah,
ah, ô lala
welche Aufschwünge
stirnbrau-
gequirlt-
umwittert, umflirrt
Herzsinn,
bewegt.
Abschied von Odysseus
Als endlich Nausikaasich ruhigatmend neben
ihrem Odysseus rekelte,
der, nackt und zerschunden
aus dem Unterholz tretend, die Gespielinnen
so erschreckt hatte, dass sie noch immer
in respektvoller Entfernung kauerten
und kaum zu atmen wagten –
während die kräftiger werdenden Strahlen der Sonne
ihre Rücken wärmten, nun
der wilde Mann mit tönender Stimme
von schier endlosen Irrfahrten übers tückische Meer
zu reden begann, alle Stationen
seiner herzpressenden Abenteuer (Skylla und Charybdis,
die Kyklopenhöhle, den Gesang der Sirenen, die Insel der zauberkundigen Kirke)
mit topographischen Erläuterungen versah,
tippte sie ihm sanft auf die Schulter,
lachte leise und lispelte:
Spar dir die Schnurren ruhig für meine Eltern,
die, alt und ein wenig wacklig auf den Beinen, einen wahren Heißhunger
auf solche Geschichten haben, je toller,
desto besser. Ich weiß sehr wohl, dass man alle Orte,
die du beschreibst, bequem zu Fuß oder mit dem Wagen erreichen kann.
Überdies ist Kirke eine gute Freundin von mir und ich darf dir versichern, sie ist
nicht halb so schlimm, wie du sie machst.
Die Tradition schweigt darüber,
was Odysseus entgegnete. Sicher ist,
dass er sich wenig später erhob
und die phäakische Königstochter
um ein Stück Kleidung bat, seine Blöße zu bedecken.
Mauritshuis Zi 9
1Im Turban, einem Phantasma, zittert
die Anstrengung nach, die durch diesen Kopf hindurch
ging, um ihn zu verlassen. Ein Arbeiter vor dem Herrn
oder der Dame, die ihm bevorsteht. Der Blick
bettelt nicht, bittet um keinerlei Nachsicht.
Nachsichtig gibt er den Narren, gibt
ihn preis, an was auch immer, ans Element,
das andere Zukunft nennen, er aber nennt es
das graue Feld.
2
Herr oder Dame – what’s next? –
ein wenig Glanz, Abglanz muss sein
zwischen den Zeilen, dort, wo die farbige Schläfe
anderes zeigt, den unerbittlichen Fortgang
vor aller Qual. Ein Glanz von innen,
was ist das? Kein Auftrag
bringt dich zum Leuchten, nicht einer. In allen bleibst
du der dunkle Fleck, unausgeführt, der letzte
erst gibt dich preis.
Hombre
Der alte William, theater-satt, angeekelt wie selten
im Schwall der Jahrhunderte,
hält einen Augenblick inne,
schnüffelt, erstaunt wider Willen,
(jedenfalls scheint es fast so)
am Gesicht der Frau,
die keinen Bock darauf hat,
eine dieser redseligen Gestalten
auf die Bretter zu stellen,
aber schwur, nicht locker zu lassen,
das ganze schwule Gezirpe
der Sonnets noch einmal zu übersetzen –
in dieses merkwürdige Idiom,
in dem Engel flüsternd
hin- und herrauschen,
sich in Ecken drücken, die lange leer standen,
es miteinander treiben
zwischen wurmstichigem Chorgestühl,
verkratzten Monstranzen
und vertrockneten Hostien.
Hombre –
das Abrakadabra, es funktioniert
unfehlbar
wie eh und je.
Tacheles
Hätten wir ein Bild von ihm, einen Schnappschuss– »Nehmen Sie noch von dem Käse, Meister, er ist zu köstlich« –
dann ließe sich manches besser beurteilen. So aber zu sagen
›Der seltsamste Mensch, der je gelebt hat‹, das klingt
merkwürdig, unredlich irgendwie. In Wahrheit
besteht kein Grund, so zu reden, es sei denn,
eine alte Anhänglichkeit erschüfe sich eben neu
durch ein Nichts von Worten. Der Mann am Kreuz,
von der sanften Hand eines Greises
an den Rand der Gruppe bugsiert,
um den Sinn leicht zu machen, der dritte Mann,
der dazukommt und die Gruppe beschließt, er weiß vielleicht,
dass er ein Mensch ist, soll heißen
kein Gott: Woher kennt er den Unterschied? Vom Gedanken
der Trinität ebenso überfordert wie irgendein Täufling,
denkt er den Schmerz, die kurzschlüssigste aller Synthesen
(falsch, ganz falsch, schluchzt das entfachte Bewusstsein), und doch
einer der stärksten Entwürfe –
der stärkste vielleicht, nur das Ende bleibt stärker,
löscht mit schütterer Hand,
was sich im Fliegen erfuhr.
Der korinthische Garten
Der korinthische Garten Medeas –so wenig man über ihn weiß,
eines weiß man gewiss:
daß er angelegt wurde
zur Erinnerung.
Kein Pflug war hier gestattet,
geharkt nur durfte die Erde werden,
ein Spaten hätte sie schon zu tief verletzt.
Götterstatuen –
ein Hermes am Wegrand,
ein Pan unter blühendem Oleander –
halten den Blick fest,
dem noch, einwärts entgleitend,
das Bild der einander
würgenden Erdsöhne
gegenwärtig ist.
Ein Garten seltener und kostbarer Gewächse,
die heimlich mit Blut gedüngt werden.
Seine tägliche Bestellung, die schrittweise,
zäh und fintenreich gegen den Widerstand
der Nachbarn betriebene Erweiterung
beschäftigen die späten Jahre Medeas.
Die Geschichte ihrer Eifersucht,
ihrer Rache an Jason, ihres drachengeflügelten Abgangs –
Sand in die Augen der Nachgeborenen,
schal erfundene Ablenkungen!
Nehmen wir also an,
die Idee ihres Gartens ergreift sie
grenzenlos, was liegt näher? Die peitschende Kunde, ach
von der Treulosigkeit des Gatten
trifft ein leeres Ohr.
Als man die Kinder findet,
blutleere Körper mit abgeschnittenen Hälsen,
liegt sie, wächsern lächelnd,
unauffindbar bereits,
ein paar Handbreit
unter der Erde.
Später dann wird der Garten verwüstet,
Marmorplatten senken sich, drücken
den pergamentenen Leichnam ein wenig tiefer
ins Erdreich hinein; lange Jahrhunderte
vor der Ankunft der ersten
Archäologen,
dieser Gärtner von unten her.
Eingang
Gezählt jeder Stein –vielleicht vielleicht vielleicht. Das wandelnde Licht,
wandelt, lustwandelt es? Wandelt es sich? Geht es auf Wandlung,
Anverwandlung hinaus? Welchem Sinn
gibt es die Sporen?
Wie noch einmal (ein letztes –) bleibt diese Rede
mir deutlich, un-, unan-, unanverwandelt.
Ein Schatten Licht, eine Handvoll Glanz, gesetzt
ins Vorbei hier und da, in die Landschaft.
Wen trifft es morgen? Den Stein, der birst?
Die Hand, die zerfällt? Oder die Asche, hell, kühnste
aller Metamorphosen. Oder
Der Schrei
Das Bild der Schreienden: Seicento,vielleicht ein Fiorentino. Neben ihr
im Kot ein aufgeschlagenes Buch,
mit Lettern, groß genug, dass sie, im Schreien
nicht innehaltend, weiterlesen kann,
kann oder muss, den Blick ins Ungewisse
verrenkt. So will es dem Besucher scheinen,
bis er, ihm näherkommend, sieht:
der Blick ist leer, verblendet sich
im Weiß des Apfels. Näher rückt
ihm der Betrachter, dichter, dicht, bemerkt
das Rund einer Pupille, die
sich dunkel übers untere Lid heraufschiebt,
bemerkt, bemer...
Statik
Unbegreiflichist nur das eine:
ach, es wäre ein zweites –
ach, es wäre ein drittes –
nicht geschaffen
fürs Unbegreifliche
umstreicht die Kuben
der räudige Sphinx.
Nicht verbirgt er das Antlitz,
er trägt es frei
auf steinerner Pranke.
Gern hätte er sie geleckt.
Nur ein einziges Mal.
In einer Zeit ohne Arg:
Kartenlegerin
Völlig geräuschlos, gleichsamzerstreut, stiehlt sich der scheue
Blick des Betrachters davon,
um schnell wiederzukehren. Kein Laut
verrät, was er sah. Der runde
Ziertisch im Gang, vielleicht
ein Weihwasserbecken, ums Haar
stockte er dort. Doch kühl
trifft ihn die Blickin, lenkt
(nackt pulsierend im leicht
schimmligen Botticelli-Gesicht)
hin zu dem Zeigefinger, der lang
hinter dem Kartenhaus vorkommt,
herb auf dem Münzstapel ruht.
Klirrend stößt in den Raum
der armlose Kämpe.
Idol
Frau aus Schemenland,depotenzierter Götze Weib mit traurigen Hufen,
welches unserer vaghalsigen Gelüste
gierte nach deinen Umarmungen?
Besitzlose Statuette, prüfst du den Blick des Kenners,
der sich langsam unwohl fühlt vor der strengen
Unbestimmtheit deiner Konturen.
An dir entzündet sich nichts,
keine Phantasie, kein Gedanke, kein Wahn.
Statt dich zu entfalten, entfällst du ins tägliche Abseits.
Welch verwahrloster Einfall, dich dort zu entwenden,
dich herzuholen in den Lichtkegel
irritierter Betrachtung.
Ausgesetzt wirkst du
und verletzt durch die Akte der Zuwendung,
die du, gesockelt, nun allenthalben erfährst.
Welcher Schiffbruch im Unbenannten
verschlug dich an die teilnahmslose Küste
unserer Aufmerksamkeit?
An dir endet unser Spielraum.
Du bist die,
mit der nichts geht.
Horolog
1»Alles
ändert sich. Nichts
bleibt, wie es ist.«
Davon
gehen wir aus.
– Aber
wie soll eins denn
von etwas aus-
gehen, wenn es
nicht bleibt? –
Keine
Lösung in Sicht,
wie es scheint. So
bleibt das Problem.
Was sonst?
2
Aber
wenn doch nichts bleibt,
wird es vermisst?
- Davon
gehen wir aus.
Also
nehmen wir an,
Sehnsucht allein, sie
liefe
vorwärts zurück,
wohin
käme sie denn?
– Nicht weiter als
hierher, und schon
geht sie dahin.
3
›Das war
nicht im Takt.‹ Doch
so geht es fort.
Der Takt, er
bliebe ja sonst. Und
das darf nicht sein.
Bliebe er, so
stände die Zeit
still, wie gedacht.
Gleich
ist es soweit.
Totum
Sacht umschlossen vom Zugriff der Luft und entfaltetüber dem biegsamen Rücken wölbt sich der ruhende Text.
Kaum erregt sein Anprall die Luft, wenn Seite für Seite
er die Hohlform umwälzt, die immer
wieder geprüfte. Sie weicht so geduldig, sie nimmt voller Gleichmut
alle Zeichen zurück, selbst das bleiche, stets überlesen, es hebt sich
im Druck, der es begreifend verscheucht.
Sprachlose Hände schlagen das Buch auf, erblättern
immer wieder die gleiche Stelle, ein wenig darüber
strömt Luft aus unbeteiligten Lungen, schwach moduliert
von einem zuckenden, gleichwohl schweigenden Mund, darüber
ein Paar Augen, müde des Hinsehns, ein wenig einwärts
gekehrt, darüber die Strähne, ganz unbesehen
zeichnet sie Arabesken auf eine verdämmernde Stirn.
Taubinnen
An der dichtbeschwingtenTaubinnen Profil
einer hergewinkten
Andacht Beigefühl
bläst im Unbedingten
zartes Luftgestühl –
Probe vorm gezinkten
Feierabendspiel.
Dunkelnde Facette:
Einkehr, heimgedreht.
Dem zur Lagerstätte
flatternden Gebet
ordnet sich kokette
Ambiguität.
Zeugnis
Der Geist, erwacht aus träger Sicht,findet am Fenster seltene Klarheit;
im Nebel eingelassenes Frühlicht gleißt
im Spiegel, ruht am Rand des Vorhangs,
Blicke nach allen Seiten werfend und empfangend.
Die Schatten gleiten, reglos harrt der Glanz.
– Ist der Gedanke haltbar? Er verschwimmt
im Regenschauer, der vom Fenster perlt.
Ein neues Bild. Bevor es stand – was wars? –
spült es der Regen fort, der es verband.
Der es verband? Nicht löste? Wer erfand
die Regel, wer vernichtet sie? Das Band,
das sie erzeugt, ist aus demselben Stoff
wie dieses Seiende, das sich am Fenster zeigt,
für wen? Den Blick, der ihm entgegen steigt.
Quo vadis Musa
Andere nannten dich so. Nur ich, wiesoll ich dich nennen, unvergleichliches Tier im innersten Winkel
meiner Behausung? Und verschwiege ich dich, wie
schwiegst du dich aus? Dein Schweigen meine Rede,
sie versteckt dich noch immer. Ach, lass uns ausgehen,
die Sonne steht hoch und es kommt nichts dazu –
du schweigst?
Einmal reizte ich dich, dein Brüllen
trieb mich zurück, zurück über die Schwelle.
Schwören hätte ich mögen, dass nichts zwischen uns sei
außer dem Warten. Und recht hatte ich wohl: im Warten blieben wir zwei
kaum voneinander. Einer des anderen Rand.
Mein Schweigen deine Rede. Hauchzart
verspricht sie sich da.
Das Sprechen
Das Sprechen, dasaus diesem Mund kommt, wie
so ein Scheit Holz oder die Axt,
die es zerteilt: auf beiden Seiten eins
... nicht Sprechen also, etwas,
das schärfer ist und fasernd
das Maul zerreißt, nicht ganz
mit sich allein, nicht ganz, denn
da ist noch ein Sprechen, das
nur selten eingreift, sprachlos sich
verspricht, ein Geben, das
als Nehmen sich maskiert und wirklich
nimmt, was es so verschweigt
im Tausch der Wörter, der
fast mehr wagt als ein Seufzer
quer durch den schreienden Raum.
Eine Rose für Paracelsus
Zwischen den Schranken der Nacht,metallen, auf schmalem Steg,
wo der Wind greint, und das Knarren
wiegender Pfeiler uns vorwärtstreibt,
unter sprinkligen Sternen gleißender D-Zugschwall
uns überrollt und verdunkelnde Streifen unten
über das Wasser zieht, wo schaukelnd ein Boot erlischt,
schwankt deine Schulter an meine, Eurydike,
doch du bedrängst mich nicht.
Wo entlang der Schritt fällt,
das eiserne Geländer, der Strom wär ich.
Das flott im Sternwind stiebende Gewölbe,
die Planken zu deinen Füßen, von Staub und Licht umschwirrt,
anfänglich, endlich, auf deiner Wange der Rauch
wärn meine hohle Hand.
Die mir den Atem führt
mit sengendem Gang, lidlosem Wimpernschlag,
Lose, sie atmet im Innern der gleitenden Strophe,
ruht im fortnehmenden Silbenflug.
Blieb
Drehte den Kopfunter der Wölbung, warf
dem Männerblick zu
bog auseinander
leichthändig, unverwandt,
schon
entgangen, wusste nicht aus,
wusste nicht ein,
nur ein anderes blieb,
ein anderer, von nichts
wissend, blieb,
schon.
Tigermal
Aus dem Fächer der Sprung:kein Danach, das ihn träfe, kein
Dort, an dem diese Wendung
endet, die Häutung ins Wenn –
dann ... davor, im schlau
lauernden Aktus die Stirn –
was geschieht, wann, falls
nichts hier geschieht? Kaum
eine Frage, ein Groll, un-
mutig, aus dem Gewirr
gezupfter Lamellen funkt
handverlesen dies Mal.
Schattenmann
Glanzlos bleiben die Worte in diesemSpiel der Vernunft, das gleichmütig, ohne
Ansehen, jeden Angreifer schlägt.
Die Hand ballt sich im Krampf, sie löst
sich öfters im Schlaf, dem kreisenden
Finger im Sand verlaufener Tage.
Überhaupt schlafen die Leute länger,
wenn ihnen der Grund abgeht, ich
kann das bestätigen. Der Gang vor den Spiegel
treibt, wie man weiß, die Prämissen.
Wer zur Larmoyanz neigt, der kennt sie
alle zur Hälfte, die andere bleibt ihm verschlossen.
»Sieh es doch einmal so: Hanna –«
den Satz war ich mir schuldig, er trifft
so, wie er soll, tödlich vielleicht.
Doch mit einiger Sicherheit
macht er Epoche; ein Satz,
immerhin. Zwei Sätze, davon
könnte man ausgehen, nebeneinander gelegt
machten sie Sinn. Ein Satz hingegen
springt immer zu kurz, obzwar, gezielt
ging er ins Weite. Doch das ist her, über kurz
oder lang siegt das Gedächtnis. Tauben brütet es aus
und Stachelbeeren, inmitten getrockneter Pflaumen
liegt noch ein Brief, den wollen wir lesen.
Im Kerzenschein, zwischen Arglos
und Wortlos flitzen die silbrigen
Fische dahin. Damit können wir leben.
Vielleicht auch nicht. Um das zu entscheiden, bräuchte
es mehr als ein Bad, dutzende. Nichts krümmt
so ein Haar auf geraderem Weg als der
abtropfende Schwall: ich bin, bin
gewesen, ich trete, auf weichenden Sohlen,
ein ins Betuchte. Den Schlüssel solltest du
gut verwahren, vielleicht
schickt es sich eher nicht, aber
später ist immer zu spät, und der gerontische
Stab bricht sich leicht überm Knie. So will es
der Pfad. Un-, uneinig folgen
die Zwillinge ihm, die vieles begreifen und blind
gegen ihr Wissen die Todesspur kreuzen,
Heimsegler vor dem Auslaufen, ja
dem Startschuss ins Ungemeine sogar,
der gedopten Fahrt ins Versäumnis.
Angst. Da wäre nicht einer,
dem ich vertraute. Keiner.
Ich weiß schon, er wäre
wie andere auch. Also
greife ich an. Das muss
dich nicht bekümmern, denn schau,
solange ich rede, gewinnst
du, ein Stück Herrschaft sogar, im Hin-
Reden, durch mich hindurch, über
dieses Geschlecht, das sich, ungemeint, aufspreizt:
gefoppt, niedergemacht, verlassen, pfropft es
sich auf, ohne Aussicht, es ginge,
was sich nicht ausdrückt, die flachste der Stufen
abwärts, ins Freie, und mischte sich
einlässlich unter die Bieter. Hass:
ja, Schwermut: nein. Auch ich hätte gekonnt,
was nicht so schwer ist, da
so viele da sind, denen es
Mühe zwar, doch nichts weiter bereitet: ein
Fingerzeig hätte genügt, eine leise Berührung
hätte gezeugt, wofür? Für das Eine.
Was nicht so einfach ist, immerhin
führt es die Luft nur in Spuren, und jede neue
Auslegung entzieht ihm den Boden, auf dem
du immer schon stehst. Versuche zu gehen! Die nächste Lektüre
kommt dir zuvor und du siehst rascher
alt aus als diese Hand, die das Blatt
wendet und hält, das dich quält.
Vielleicht bin ich das Ekel,
das nur zusammen geht, weil nichts
zusammenging, leichtfertig, hinterfotzig, scharf
auf einen Abgang, der, was sich zuvor
nicht tat ... in diese Hand legt,
sich langsam um sie schließt (den Blick
aufs Zifferblatt gerichtet, dessen Zeiger sich
in Sprüngen fortbewegen, warum nicht?),
sich langsam schließt, nur einen Augenblick
noch, einen Augengang – ... wirres Bild,
das bloß der Kopfschmerz halb und halb entschuldigt.
Leben im Blatt, rundhändig, leichtbewegt:
Befreit Narziss! Entzieht ihn den Psychiatern,
der Therapie, die ihn bekehren soll,
dass er – gescheitert, ungeständig –
den Boden trockne! Jeglichen Sinnes Keim,
ein Phallisches, entfaltet sich und stillt sich.
Empfängnis, folgenlos. »Alles nehmen,
nur nicht auf sich.« Die Menschen
verbrennen auf den Straßen. Dresden
ist immer.
Kleines Finale
1Wer ich? Sechs oder sieben Wesen
in einer Haut, bewegt vom Streit.
Einige schreiben, manche lesen.
Einer hält schweigend sich bereit.
Wozu? Er schweigt. Was ihn beschwert,
bekommt den anderen nicht besser.
Was immer sie betrifft, verzehrt
der unentwegt aktive Esser.
Er hat sie alle fest im Griff.
Was will er denn? Was presst er sie?
Kein Denken giert nach dem Begriff,
der ihn verführt. So reicht es nie.
2
So hat es demnach sich ergeben: nie
ganz recht den andern, angekommen nie
und nie ein anderer – wie sollte er? –
nur dieses andern andrer seit jeher –
Was aber dann? Ein Witz, ein Weiser,
Ein schlechtes Blatt, ein Rattenkaiser,
ein Aus-dem-Weg, ein Lasst-ihn-fort,
ein Los von allem, schamumflort
dem Offenen entgegentreibend,
schon eins im anderen verlierend,
sich hier und dort noch flüchtig reibend
fast ohne Zorn: das Tor passierend
3
Wann fiel der Schuss? Der Start war längst vorbei,
als das begann. Ein Unvordenkliches,
so sagt man, Rede ohne Sinn,
doch Rede auch. Schwer vorstellbar:
Verzicht. Das Schweigen ehrt den Schweiger
und nicht sein Lassen oder Tun, den Rest.
Keiner versteht die Sprache des Genoms,
die Tür bleibt zu. Was vor dem Denken liegt,
geht dich nichts an. Im Innern bildlos.
Dort lächelt niemand; die entrückte Welt
wird nicht vermisst. Beweger ohne Regung,
gelöst in Trauer. Traumlos. Ohne Raum.
4
Aus Sein Bewusstsein, aus Bewusstsein Sein:
Wen kümmerts? Schreckt der Automat,
der einlässt, ausschließt, Fühlung schafft und Ferne
im Zellentakt, indes das träge Lid
den Abschied mindert und den Schmerz verhängt?
Die Schatten gleiten, reglos harrt der Glanz.
Auf was? Wie lang? Zu welchem Ende? Wie?
Hendrickje, aus der Küche tretend, schlägt
einen Moment die Hand vor das Gesicht:
Traf sie der Schein? Das Dunkel? Der Zerfall?
Krebs
Jahr um Jahr um Jahrzusammengehalten, zuletzt
stündlich, mit steigender Qual:
»Man wird sehen, wie die Natur
sich behilft:« ...
Spät, zu spät für das eine,
zu früh für das andere – : »man wird sehen,
wie die Natur...«
Makellos
Dieses Makelloshingeblättert den Bränden
der Brandung verwandt.
Unter lauter Zählern
die Null.
Leg es dazu:
ein Fest. Verlier es: die Stirn
zeigt seine Spur. Abwesend selbst
bleibt es sich gleich.
Nichts sonst.
Unertragen
trägt es die Welt
auf der Zunge. Kein Abstand
wär zu gering.
Keiner zu groß.
Nachschlag
Unertragenträgt es die Welt –
ein Wort, das sich biegt:
heimliche Ordnung, erspart
nicht im Geringsten, Gesang,
ein Zwitter, bloß
auf den Bogen gespannt
ins sehnige Ja.
Nichts hält die Natur –
ein Unwort, wie›unvergessen‹ und ›Abgrund‹,
nichts hält sie, im Gleiten
entgeht ihr das Meiste:
ein toller Spuk, Abstand
klingt wie ›vollbracht‹,
›Pallaksch‹ (der Ton!), ›I miss you‹, ›perfekt‹.
Nichts hält sie, Verlangen
trüge, trüge sie wohl.
Anders sind wir
Das Wasser weiß,was der Fisch spricht,
weiß auch: das drüber
spricht in den Wind.
Mit dem Wind spricht
kein Drüber, der Wind
widerspricht. Seine Worte
peitschen das Wasser.
So gewiss wie ein Fisch
Auge, dem Fließenbeigegebenes Rund.
Ruhlos reglos,
Schwarz oder weiß.
Hier oder da.
Egal.
O.R
Jähe Kühlungweht aus Lun-Shan
gegen die Berge
treibt beizenden
Weihrauch ins Aug.
Das wäre
Das wäreein fließendes Alt
ein starkes Gewähren,
heimlicher Aufstand
im Niederstieg, dreifällig
geteilte Not.
Stufe um Stufe
klaffende Schere.
Staubzeichen
Könnte der Staubsich entschließen,
sein Entschluss stünde fest:
ein gläserner Hauch.
So er nicht schwände,
wo käme er hin.
Windei, vereist
ins Meer der Gerüche.
Traumdröselig
Traumdröseligzerrt das Zuviel
am Rand der Entschlüsse.
Kein Sturm, kein
Nütze die Stunde.
Unvorhanden
erschließt sich das Meiste.
Gewiss
Wer mich stört,stört die Welt –
ein Wort, flüchtig
ins Weiße gekritzelt,
keins darf erwarten,
dass es sich klärt.
Gewissheit treibt
Blüten aus Argwohn:
Wer mich stört,
stört die Welt.
Ohn-
Absturz der Sinne. RasendesGewühl einer Nähe,
die sich entfernt.
Der Gang
unter verpappeltem Himmel, er kann
nicht enden.
Hinstürmen,
etwas steif noch, im Nacken
entgehender Morgen.
Ein Ohn-, vergoren,
an diesen Gang
ohne aus.
Der gewässerte Horus,
Leid nehmend wie ein Tritt
Moos, der quergestrichene Ein-Gott,
nicht teilnehmend, nicht
teilnehmend, eben, am ungesicherten Treffen,
ein Atemstrich, blind
durch die Landschaft gezogen – gerade so gehen
unter der Hand die gerissensten
Mit-Neider über den Tisch,
gerade so, wie auch sonst? wo auch sonst –
kein Ansturm nächstens, kein Sturm,
stete Brise vielleicht, darüber könnte man
nachdenken. Wenn nicht, auch gut,
besser sogar. In dürren Blättern raschelt der Wind.
Die Amsel, vor Sonnenaufgang,
flötet versunken, als käm
nebenan es zu Tag.
Unbeachtet der Dieb,
durchs Fenster geklettert, auf ewig entronnen –
was fehlt, das fehlt, es wird sich nicht finden.
Anders treibt es die Suche, sie wirkt
stark in den Köpfen, sie kommt
an kein Ende, das macht,
es gibt keinen Grund. Keinen, der sich erklärte,
keinen verschwiegenen auch. Himmel, wo
sollte er schweigen? Unterm Lid, das sich rötet –? Rot
erheischt Achtung. Wer es nicht glaubt,
wird leicht überfahren. Weiter im Text,
weiter. Täglich, unterm Gelüst,
wechselt die Suche das Ziel, heillose Unordnung
blüht im Gefolge. Pollenflug. Unaufgeräumt
zeigt sich die Suche. Was sie auch findet, im Bogen
fliegt es hinaus, das Rechte
darf es nicht sein. Auf allen Spuren fährt
sie ins Weite, dorthin, wo die Klingen sich kreuzen,
die nebeneinander im Schaukasten der Gefühle
unblutig ruhen, von keinerlei Wunde
wissend, ein Wunder, ein kleines, lockt
die Schaulust heraus ins Vage.
Zusammengewickelt, gerollt, eine blitzende Kugel
aus gehärteten Furchen, die steil
ins Schwarze sich winden oder
knapp unter der Oberfläche verenden, um anderen
Platz zu machen: die Angst-Kugel, achtlos
beiseite gerollt, spannt sich, dehnt sich, bereit zum Sprung,
der sie zerreißt, Sprung in die Zeit.
Arglos lebt es sich zwischen den Zeiten,
beinahe friedlich, kaum also, ein Daumendruck endet
das mürbe Spiel. Wir sind das Volk. Wer hätte
daran gezweifelt? Entzweit erst
regen sich Zweifel. Wir sind es, soll heißen:
wir sind auch eins, ein wimmelnder Einer,
Einser vielleicht, wer kann das wissen, solange noch
alles verwehrt ist oder auf Noten gezogen –
Vive la musique!
Molluske, was ist? Du wirst es nicht enden,
nicht enden wollen; kein Druck treibt dich
auf diesen Punkt. Qualloses Aggregat,
im Sinken begriffen, derweil sie aufschwimmt,
durchsichtig fast, nicht gezeichnet
vom unvordenklichen Schrecken. Eins, zwei, enterbt sie das Wagnis,
den Satz ins Freie, der gut
erwogen sein will, ehe er quer
durch alle Einwände fortreißt –
gut erwogen, soll heißen, geworfen
von einer Hand in die andere, ein erster
Gedanke, todernst, mit bibbernder Kehle erwürfelt
unter dem Auge des Durstes, dem wachsam dämmernden.
Kippte sich in den Fluss, lächelnd –
kein Appell an die Lachmuskeln, das zumindest
lässt sich erraten, auch wenn der Schock
nicht wenige aufkratzt, denen vom Schauen
der Speichel zuströmt, – nicht reicht es,
Gründe zu nennen, niemand
tut es aus Gründen, schon gar aus guten.
Törichte sind da besser, sie zeigen
die Hand auf der Waage, die nachhilft.
Hier verlief sich einer im Zeit-Schlund
zwischen Noch-nicht und Nicht-mehr, ein Zeuge
im Scherbengericht, be- und
entgeistert, wie mancher
andere auch. Was er glänzend bewies: seinen
Zeitsinn. Der geblendete Gaffer, er hatte
sich schon geschnitten, bevor er noch schnell
schützend die Hand vors Gesicht schob.
Nicht das Leben im Tod, den Tod
im Leben gesucht, geschnitten
aus der Beuge des Horns, betrogen –
kein Gesicht holt dich einmal: zwei-, dreifach
geht es dich an, geht hindurch, geht
ja wohin denn? Es würde nichts helfen,
wenn du es merktest. Im Ausgang
bleibt es sich gleich, nur
aus welchem Grunde willst du dich schöpfen?
Das ist die Frage. Sie schlägt
jeden Einfall, bis er sich biegt…
an Haken wie diesem schaukeln die Wünsche
im Wind des Wandels, der auffährt,
als könne er mehr. Zum Einstand
klirren die Scheiben; wer Sturm sät,
erntet ein Lüftchen: es sei.
Ausschalten, ausschalten, ausschalten ... wo
zeigt sich der Drücker? Zu gern hätte man ihn
mit eigenen Augen gesehen, doch das war dann
wohl des Guten zuviel: spät erst, zu spät
holt ihn das Leben ans Licht, nachdem die Bedrückung
einfach verpuffte, sich anpasste oder pfiffig
Nachfolger warf. Die hässlichen Seiten
stehen den guten nicht nach, sie wandeln gelehrig
Essig in Wein und zurück, je nach Kundschaft.
Wie das Kind, das im Mutterleib nachrückt,
das verschwiegene trifft, die abgetriebene Erstfrucht,
nun also der Drücker, der Unter-
Drücker, wie man wohl sagt, und gewiss
wurde die Luft auch mal knapp – der hier,
wohltemperiert, meldet Schikanen, welche
die Augen feuchten, die schon bestochenen, elende
Leugner des Röchelns, das, nicht ohne schwerste Bedenken,
Kehlen entweicht, die das Unerschwingliche preisen.
Härte, mein Kind, Härte. Dasselbe
ist nicht dasselbe, wenn zwei –
non licet bovi, wie die Lateiner,
eine verrottete Seilschaft
von Speichelleckern und Mietschreibern,
von Fußangellegern und Hockenbleibern,
dir aufs Butterbrot streichen.
Schamlos behalten sie Recht.
Dafür bestraft sie dann auch
das richtige Leben, das mit der Peitsche,
das vitale. Zwar der Betreff
lässt sich verwinden, Verachtung auch, aber so aussterben,
über Jahrhunderte, das verlangt mehr,
als ein Tyrannenmord leistet: das geprüfte Vampir-Paar, klug
aufgebahrt vor den Blut-Augen der Kameras,
die nie genug kriegen, die jeden –
aber nein, es hat sie vergessen,
die Vergilschen Sentenzen, wahrhaft,
es hat sie vergessen.
Weiter, weiter. Die Hetzjagd weckt
diesen Sinn für Nuancen: der Baum da steht
anders im Raum, sollte der Grund,
in Grund gefahren, wie sonst,
zur Spur sich bekennen: Schafft zwei, drei, viele
Bahnen ins All, aus dem die Götter einst kehrten,
Raser auch sie. Wer gern überholt, den er-
wischt es im Schlaf – rechts, links, rechts,
das bewegt Ängste und lenkt
aus dem verschlagenen Abseits
ins Glück der Mitte. »Never alone.« Gleich hinter dem Hügel
stellt sich die Löwin. Überaus nüchtern pariert
der Pulk der Verfolger, ein
verdattertes Freiwild rollt
– nur ein Tropfen am Eimer –
in die bergenden Arme des Schützen,
Opfer, Täter, wir alle, eins,
kein Blattschuss, mehr ein Gewinn.
Skrotum, es wäre –
ein gekippelter Zorn, blaurippig, bis knapp
unter die Kante des Himmels,
der keiner ist, nur das Wandern
enterbter Gedanken, genug Stoff,
um die Sonne zu schwärzen, den alle Seiten
wärmenden Fleck, der nicht weggeht, nur so
kommen wir weiter. Hinter den Pfützen
tut sie sich auf
unter dem Glassturz,
die gezeichnete Stadt, als hätte
die Pest sie geleert oder
ein Meteorit, jetzt aber kehrten
die ersten lebenden Menschen
zurück und liefen in Trance
grad über Treppen und Stege,
unter Bögen und Brücken durch –
wenig, fast nichts dürften sie finden,
das sich verlor. Kein Wort, einander verweigert,
führe sie an aus dem Dunkel: grußlos,
ohne Zeichen zu geben, ein gesiegelter Abschied,
greifbar im Morgengrauen oder bei Dauerregen,
gelockt, barsch und erbittert, in hastiger Leere erbeutet,
Skrotum.
Erhebung im All, Glücksfall
für die erbeutende Hand:
das hat gewiss mehr zu bedeuten
als den Verlust der gesicherten Rede...
kleine Streuung am Rande, wovon?
Distanzscheu, dies
Eingeständnis von Schwäche, auf
Dauer nicht zu ertragen, doch
schwach wollen wir sein, oder? Oder, vielmehr,
das Universum bietet nicht Raum, uns zweimal
ganz zu enthalten, behilft sich
mit Spiegelungen wahrscheinlich, doch
dieses endlos ins Wir duplizierte, sicher
vom Brustton ernährte ... umgreifend ist
nur ... wovon
sollen wir reden
im Wirbel, dem...? Redselig
weiß einer viel. Im Weiterreden geht die Substanz
auf und unter, ein Akzidenz, groß wie ein Flügel, der
die Sonne bestreicht, verlorener Zug
auf dem Schachbrett der Träume, dem Last-
träger auf dem Weg in die ... Agonie. Ich
kommt in Gedanken davon.
In Gedanken, nur in Gedanken –
es geht weiter, doch
wie, da das Rauschen nicht weggeht,
mag einer schlafen unter verkrüppelten
Eichen oder im Legföhren-Revier,
eingelullt vom Gezirp
(›Hintergrund-Rauschen‹, ein Treffer nach Maß
für grübelnde Zocker), auch wenn
kein Instrument hier zur Hand ... was wäre wohl immer
zur Hand außer ihr selbst, im Schlaf etwa
scheint manches gewiss, doch gerade
der Punkt bleibt dunkel. Gerade das
bleibt dunkel. Handlos, wer möchte
so leben? Davon
ist nicht die Rede. Sie ist
anders befasst, mit Hand und Fuß, mit Yin und Yang, als
habe sie mehr davon im Gepäck oder im Herzen,
wo, ein gaffender Dritter, sie stille steht
zwischen den Tüchern,
ein Letztes. Das da
ist nicht erreizbar.
Das Pausenzeichen, ein Gong,
wer mich so schlägt, dessen Dasein
ist schon verwirkt. Er täte gut daran,
sich ein zweites zu sichern,
wenn es das gäbe – nicht auf dem Markt,
Ort des zweiten Verlusts, wo die Gier
unter rauschenden Ulmen
freie Erwartungen tauscht, eher draußen,
wo leise die Kippe raucht. Bibliotheken der Zukunft
findest du dort, unberührt von der Zeit, denn die ihre
stand still, bevor sie begann.
Keine Zukunft zu haben, ein Privileg
wie das Stammeln, nicht lebenstauglich, das
ist ja der Clou. Aus den rasch schmelzenden,
in panischer Schwärze versinkenden Lettern starrt
das Auge des Allochthonen: kein Vampir, nur
ein Mensch mehr, ein Stundenfresser wie jeder
andere, dem sie schlägt, als sei sie die eine,
immer die eine, die darauf wartet,
seine zu werden, doch davor
liegen die Riegel.
Immer kommt es zum Tag,
nebenan oder neulich,
wer hielte es auf? Der verwickelte Eingriff
verändert die Welt. Mäßig dagegen
ergreift die Revolte. Wo auch sollte sie
ansetzen, ausgesetzt
vor allen Akteuren:
der Drang, Venter, vergab das Spiel
an seinen alten Rivalen, den Krebs,
den es nicht auf die Straße,
sondern ins Klinikum zog, beizeiten,
Dabeisein auch hier, die Töchter der Freiheit
überließen ihm gern, was er brauchte, den
vorgeburtlichen Stoff, bleiche Ressource, ein Rätsel
seit alters: wie schaffe ich Gleiche?
Rätsel sind lösbar. Die Sphinx weiß es und andere
wissen es auch. Allein der Krummfuß
erfährt es spät, ein wahrer Sieger, ihn stößt
ein Hauch vom Sockel, ein Pesthauch
aus erbittertem Mund oder aus zaghaft
bittenden Stimmen, man möge das Frühere
ruhen lassen: so kündigt der Wandel sich an.
Unveröffentlicht, blank,
unter den Lippen das Tier
mit roten Zähnen gewonnen:
›That’s it!‹ Eine bewegliche Suada
überwedelt den Steg, ein Ausweich-
manöver zu zweit, zubestimmt dem Tod –
Nicht staunen, nicht zu sehr staunen! Die Bitte
wird ungern gewährt, sie findet sich
frei in den seltensten Fällen. Ein Fisch-
messer genügt, um das zu entscheiden.
Auch wenn der Bauch rebelliert, er bleibt ein Bauer
auf dem Feld der Entschlüsse. Reich, zureichend, zu
reich für das, was ihm stracks widerfährt,
ein Schock Leben, für, an sich vielleicht, andern
bedeutet es nichts, mag sein
ein Büschel Stroh unter lässig stampfenden Hufen;
›Tenne‹, Wort aus dem Handbuch des Schreckens,
nur geworfen wird immer.
Unter der Hand spielt
das Leben pur einen Tango
zur Einheit, die Bitterkeit meint,
wer entbehrte der Droge? Andere, ach
ganz andere säumen den Weg, stumm,
handwarm noch immer, setzen sie fort,
was du begannst –:
ein schüchterner Einer, dem
die Eins nicht gelang, die große Nummer
vor den Nullen das Glück
diesseits wie jenseits des Stroms. Das ist
eine alte Metapher, unaufgewärmt
treibt sie die Pulse hinein
in den roten Bereich, unter Blut-
Körperchen, yeah, tut sich das meiste;
strammer Husten hütet das Bett, derweil
tagt in Palästen aus Glas das glanzvolle Sehnen.
Eins, zwei, drei tanzen die Puppen,
und der Kritiker strahlt – er, nicht er, wer weiß,
war der Gemeinte.
Nicht im Visier, nein, nicht im Visier,
eher im Schatten der Palme,
ausgeruht, voller Hoffnung
im privaten Bereich, denn draußen
bläht sich, was einst
Entropie hieß und heute
der tägliche Wahnsinn oder
Vorbote des Erstickens,
falls es sie früher erreicht als
das Verglühen der Supernova
oder der Krieg aus dem All. ›All
Phantasy but‹. Wem schon am Morgen
das Unsterblichkeitsgen unter der Achsel klemmt,
bereit zum Schuss, der
hat nicht die leiseste Chance,
sich zu entwirren, dem bleibt
nur die kosmische Ur-Haft: komischer
Vogel, ins Schwarze gestanzt, noch
dreht sich die Erde, ein Frost
wird es schon richten.
Vor die Tür gegangen
in der irrigen Annahme, dass
die Luft leicht aufliegt dem,
der sich nicht beugt: wem
passierte das nicht? Trauben
liegen verstreut, sie reden,
klebrig geworden, vom Glück
einer langen Reife. Trauer, das ist
eine Handvoll Traumstoff, zerrieben
an einer Wand, die im Morgen erstrahlt,
als trüge ihr Weiß wie gewohnt
das Mal der Unschuld. Zwei, drei, viele Male
trägt das Begehren. Wann schlug es um?
Was kommt, kommt
gesichtslos, der entwaffnete Mann
in dem noch jungen Gesicht war nur der Bote –
ein Spiel der Natur, ein Ausreißer, gut,
um Witze zu reißen oder sich
im Bedauern zu üben oder
– wichtigste Übung – zu schweigen. Besser
schweigt es sich, wenn das Geschlecht
Schonung erwirkt. Seufzerlos ist es das Eine, im Griff
dessen, der nimmer geglaubt, dreht es die rasendsten
Pirouetten.
Sich noch einmal
blendend entwerfen:
Fingernagel, wie wärs? Neben
Herz, Hirn, Leber und Eichel das eigenste
aller Organe, es redet durch Schwellung,
wenn es denn redet und nicht
schweigend sich umtut, ein Schurz
über dem drunter, das nur
gegen Bedenken erscheint,
nicht leicht zu verkraften für
einen, der fortwill, aber
keiner möchte sich missen. Die Auswüchse beschneiden –
Wo Ich war, wird Es, ein Streugut der Winde,
das nennt man: täglich die Grenze
neu bestimmen. Kein Akt, mehr eine Geste.
Wer sich stutzt, der liebt sich.
Wer sich liebt, der gibt sich
heiter davon. Die Trennung
fällt ihm nicht schwer. Bei noch geöffneter Schere
ist sie vergessen. Geopfert wird nicht.
Jedes Mal, wenn du drin bist und er draußen,
oder umgekehrt, wenn das Spiel
euch zu verschlingen droht, wenn
es euch blind macht vor anderen
und vor euch selbst, wenn die Schönheit
als erbitterte Feindin sich
mit an den Tisch setzt, erwischt
dich die erste und letzte Regel, regula aurea:
Nicht zu viel! Andere denken, es hieße
›Nicht zu weit‹ oder ›Nicht zu schnell‹ oder
›Nicht zu genau‹, Beschissene sans
vor der Zeit oder dahinter,
dort, wo langsam die Lichter
erlöschen, hebt sich die Zeltwand.
Der Abbau geht schnell vonstatten. Wenn
gleich die Stangen noch lange behaupten,
hier sei Manege und drüben
trabten die Löwen im Kreis, niemanden kümmert
derlei Gewäsch. An der entzogenen Grenze
zwischen Drinnen und Draußen zerfällt das Fäkal
zu reinem Gedächtnis.
Immer hinterlässt die starke Erregung ein Loch,
in das du hineingehst, als ginge
es nicht weiter im Text, sondern als zöge
mit der Rückkehr der Sinne
ein anderer bei dir ein und genösse die tiefe
Befriedigung, Herr im Hause zu sein,
aber das ist nicht die Wahrheit.
In Wahrheit – in ihr, aber das tut nichts zur Sache,
drinnen lebt es sich anders, auch ließe sich fragen,
ob, was ›leben‹ heißt, dort
überhaupt stattfindet oder nicht eher
ein Wohltätigkeitsbasar für minder Bemittelte und
Verlierer zweiter Potenz – in Wahrheit verhält es sich so,
dass diese Heimkehr ins Eigene dich zum Fremdsein verführt –
einen Moment lang erscheint es so oder zwei,
dass der Verschüttete meint, er sei ein Wiedergänger des Gottes,
sanft, friedselig nach den archaischen Beben, ein harm-
loser Tourist im Angesicht der Verwüstungen;
gebückt, um aufzuheben, weiß er es besser.
Raoul Wallenberg Place
1Wie jedes andere
hat auch dieses Haus einen Eingang. Still tritt man
hinein und hinaus. Was dazwischen geschieht,
bleibt ein Geheimnis. In den Gesichtern
steht es. In jedem anders, jedoch
wer die Adresse kennt, weiß schon Bescheid.
2
Gerecht will mir scheinen,
dass keiner hineinkommt, es sei denn, seine Habe
wurde zuvor durchleuchtet. Auch die Bitte,
die Uhr abzulegen, kann nicht verwundern: eher hätte
man gedacht, die Zeit stünde ohnehin still
oder der Zugang sei ihr verwehrt.
3
Jeder, der es betritt,
erhält einen Ausweis. Er weist ihn hinaus
aus seinem bisherigen Leben. Nicht, als wäre es anders
nicht auch weiter gegangen, aber
so wie die Dinge hier liegen, ist es für ihn das beste.
Nur das Gas wird verweigert.
4
Man hat Vorsorge getroffen,
dass sich niemand verläuft. Viele verirren sich
zwischen den Zeiten. Mancher sagt sein »Nie wieder!«
und lässt sich treiben. Im Innern ist er beruhigt, die
Selektion bleibt ihm erspart. So bitter Erspartes
greift man nicht an.
5
Nicht nur die Toten, auch die Lebenden
sprechen zu dir. Aber die Toten verfügen
über andere Mittel. Das Ungelebte, das dich berührt,
wo beginnt, wo endet es? Nirgends, vermutlich.
Dies aber, dass es dich ansieht aus brennenden Augen,
stirbt nicht mit dir. Im Sterben sperrt es dich aus.
Hudson Bay
1Blakende Route. Das Blatt
wendet sich lautlos. Auch sonst
hört man nicht viel. Vielleicht
schließt das Gehör sich, sobald
irgend ein Ton es erreicht,
den es nicht aufgibt.
2
Einen Moment lang steht
über der Bordwand das Blatt
still, als träte ein Zufall
in die Bewegung, der gleich sich
spurlos wieder verlöre, doch kein
Engel kreuzt diese Gewässer.
3
Das Blatt hat zwei Seiten. Eine
beschriftest du. Die andere
bleibt leer oder wird beschriftet, allein
du bemerkst den Unterschied später, auch
entfällt er dir wie die Tropfen,
die dem Grunde entrannen.
4
Die Sichel, scharf
in das Dunkel geschnitten, sie läge
gut in der Hand. Kein Zweifel. Jedoch
was zum Greifen nah scheint, erweist sich
-wie sagt man? - bei näherem Hinsehn
als nicht zu fassen. So punktet der Raum.
5
Wer sich entleibt, der bringt
sich um das Beste: ein Satz, mit
Rasierklingen in den Boden der Tat-
Sachen geschnitten, die keine halben
unter sich dulden. Sicher
lebt es sich ganz. Oder gar nicht.
6
Nichts ist nötig. Wer bleibt,
wundert sich länger, doch gleitet
unterm Boden das Element,
das keines ist. Lichtlos
umströmt es den Kiel, der es furcht. So
verdrängt es sich selbst.
7
Der Motor ist angesprungen.
Am trägen Schlag der Möwen
schärft die Nacht ihr Profil.
Jählings ergreift das Gehör.
Das Ruder, unter der Hand, ruht
feucht im Trockenen.
Im Geviert
1In diesen Hafen
läuft keiner ein und keiner
fährt von hier aus. Der Koloss von Rhodos
ist eingestürzt. Noch immer liegt er
zwischen Gestern und Heute. Wind geht, Trauer,
kommt noch. Was mehr?
2
Die Straße, ein Zwitter. Unten
lebt man nicht. Aufschauen hilft, das Blaue
vom Himmel herunter, es redet,
redet sich ein. Grundlos ist
das Spiel der Ideen, im Wesentlichen
träumen die Ratten.
3
An der Wand die Fliege,
sie erinnert an nichts. Ein Stück Dreck,
das wird es sein. Ein Aussetzer, ein Satz,
unfreundlich kommt er daher
aus der Tiefe der Zeit.
Wer hob die Bedeckung?
4
Ins Ganze gekrallt
krebst das Gehör: nichts,
das ihm entginge. Einige hätten es gern
leiser, doch daraus wird nichts. Gegen den Fall
baut keiner sein Haus, es sei denn, er findet
im Ablativ Raum.
5
Blicksüchtig, ohne Netz
ersehnt sich der Stil. Im Absturz lockt
die reine Vertiefung. Was fällt, heißt man
ein beschriebenes Blatt.
Redende Ohnmacht, sie hat
Recht bis ins dritte und vierte Glied.
6
Wenn alle aufhören, dann
beginnt das Spiel. Wer den Zeitpunkt
verpasst, wer nicht abgibt, dem kehrt
alles sich um: das Leichte,
das ihn erdrückt, es findet
entsorgt zur Tat.
Dead Land
1Mit dem Versprechen
wächst die Zahl der Versprecher. Hoch steht es
über dem Land der Väter. Eine Rauchwolke eher
denn ein Beginn. Brandopfer, dargebracht
im Futur. Bewaffnete Bande. Ideen
trennen sich lautlos.
2
Der nichts in der Hand hat,
überspannt seinen Bogen. Von Gesicht zu Gesicht
verwischt sich die Spur. Ein Zeichen weniger,
ein Zeichen mehr. Hier lebt keiner,
der nicht begreift. Zu Seiten des Pfeils
verliert sich der Raum.
3
Fruchtbares Land. Kommt
eine Zeit, geht sie auch wieder. Hinterrücks steigt
Ödnis in die Gesichter, wirft sich in Blicken
einander zu, wirft sich zu. Ein Lehrstück, bestimmt
nicht nur für Siedler. Waffenstarrend
nimmt sie das Beste.
4
Nicht dass der Weg
zerfällt, ist das Problem. Trümmer säumen
die Straßen von Bethlehem, auf denen Kinder
den Häuserkampf proben. Der Weg aber
wie andere vor ihm und nach ihm und neben ihm führt
in die Rauchsäule.
5
Steig herunter vom Kreuz, sei
ein guter Mensch, ein Mensch, dem es gut geht.
Wie es dir geht, das steht
nicht in den Büchern, es steht
nirgends geschrieben, doch passen
die Inschriften immer.
6
Wer weg ist, gleich
fasst ihn die Schelle, ein krasses Geläut
aus einem Turm, windschief, am Rand einer Stadt.
Selten findet er Recht, es sei denn, er schafft
sein eigenes neu. Kein Mangel, niemals. Zum Nachtisch
verspeist man die Messer.
Tre donne meccaniche
1Kein Bild
ist gegenwärtig. Es wäre nicht richtig
zu sagen: Es fällt durch sie hindurch.
Eher schon ist sie der Spiegel, der es
an sich zurückgibt. Haften bleibt
handoffene Leere.
2
Ein Becken also
unter der Wasserwand über drei Stockwerke,
denen das Meiste entgeht, dieweil
der Aufzug klemmt. Pissoir für Promi:Θes. Nichts hält den Blick, er
schaukelt hinaus, in die Kälte, welcher
die Hitze folgt.
3
Die Rolltreppe, busy, gibt
Eindrücke preis: wer sich ihrer bedient, atmet
das Glück der nahen Entdeckung. Aus dem Geburtskanal tritt
der Gedanke ins Freie. NOVARUM RERUM CUPIDUS. Ein bronxener Cupido
steht schon bereit, sein Pfeil weist
köcherlos ins Gewühl.
4
Auf dem Pflaster
hallt das Stakkato der Absätze. Drei
Wünsche hat jede, der erste beste
ist schon vergeben, der zweite geht
zur Zeit in Erfüllung. Der dritte, abwesend, harrt
der kommenden Dinge.
5
Sei bereit! Wenn das Leben
dich antritt wie eine Stellung,
die es schon lange gesucht hat, dann ... ziere
dich nicht zu sehr, sei bereit! Schamlos
ist immer der Preis. Ausgekocht
gibt sich die Ware.
6
Giuseppe Baluzzi, Duft-Träger,
lächelt beredt, die verschwiegenen Wünsche
rollen auf Rädern vorbei, im désir träumt ein Deo
von Einsätzen, weltweit. Dio mio! Den Tiger reiten verlangt
the PERFECT BODY, AD. № 1. Die aus der Haut fahren, sind
gewiss die Bösen.
7
Nicht immer verhält
das Leben sich schweigend. Ein Schnitt
trennt es vom Jetzt. Der besonnene Eingriff
lässt ihm Freiheit in der Bewegung soweit,
dass es sich fügt. Dass es sich fügt, dafür
sorgen die Umstände leicht.
8
Nicht entsorgt sind die Tage,
nicht das Gesicht. Umstandslos gräbt der
Argwohn sich ein. Voilà, er blickt
zufrieden auf sich zurück. Kein Piano, kein
Adagio forte rührt das Gedächtnis. Ohne Stockung
mehrt es das Seine.
9
An diesen Tagen,
an denen der Regen weich fällt, an denen
er seiner Arbeit, die lange dauert, hemmungslos nachgeht,
verflacht der Eindruck und gibt einer Regung Raum,
die ihr Bett schon fand. Im versprengten Riss
trennt sich der Stein.
42nd Street
1Endlos fließt der Regen, doch das
bleibt bloß eine Metapher. Kein Stein
lässt sich davon erweichen. Die steigenden Wasser
von Rachnipur verschwanden ebenso restlos, wie
sie ihr als Vernichtung getarntes Aufkommen trugen,
glorreiche Krieger.
2
Einmal geweckt, entdeckt sie der seitwärts
räubernde Blick, doch hebt sie die Straße nicht lange
auf und so verschwinden sie spurlos,
wie das Gesetz es befiehlt. Ähnlichkeit ist
nur in Gedanken. Die lässt sich leicht vermehren, dafür
braucht es ein Thema.
3
Nicht auf dem Posten, nicht
auf dem Posten..., stattdessen ein flaues Gefühl,
ein Gran Schmerz im Geplapper, der nichts bedeutet –
ein blindes Signal. Der Körper, dein
alter cogitans, unterschlägt nichts, vom Übergang
sprechen die Werte.
4
Das ist nicht die Straße.
Das ist nicht das Haus.
Hier passiert nichts. Hier habe ich nicht gelebt, nie
wünschte ich, hier zu leben. Nichts verbindet mich
mit diesen Menschen. Allein die Furcht
ließe sich teilen.
5
Ein Fleck an der Wand deutet
auf Wasserstände, vergangene. Warum nicht gleich
auf kommende? Das darf nicht sein, das verstieße
gegen die Regel. Gut. Aber gesetzt, letztere ließe
die Möglichkeit zu: das Glück selbst, es greift
dir nach der Kehle.
6
Entwirklicht das Wirkliche. Ein Standpunkt,
auf dem Stehen schwerfällt. Ein Fall, der, unabgefedert,
tödlich blessiert. Kranksein ist hier das kalte,
bewegliche Element, in welchem die Findung
förmlich vorankommt, ungerichtet, ein Selbst-Los
weiß sie zu nutzen und geht.
Herausforderung
1In der Mitte des Totengesichts
präsidiert der Henker. Seine Miene ist ruhig. Man kann sagen:
ohne Regung. Doch das versteht sich von selbst,
denn er trägt eine Maske. Der Delinquent tritt vor, auch er
hält sich bedeckt. Im Krieg der Masken
bluten die Stirnen.
2
An der geringsten
Abweichung hängt der Gedanke am längsten. Hier
schleust er sich ein, abtropfen hieße, einen der Wege ins All
nicht zu erschließen. Nicht hilft es, privatim, die Qual zu verlängern, kein Aufbruch, der nicht
tödlich endete, aber im dreifach Negierten
spielen die Kräfte.
3
Das Äußerste
ist die Verwandlung. Im Feuer vergeht
das Denken zuerst, im zehrenden Schmerz
wirft sich der Körper ins Aus. Wortloses ›IO‹, das
›draußen‹ bedeutet, die geriffelte Fläche vorwillig ein-
gestichelter Lüste.
4
Es gibt Grade der Kälte, die
unübersteigbar scheinen, doch geht der Schmerz
über sie weg wie nichts. Der von Zweifeln getriebene, not-
sichtig an Rätsel verschwendete Ehrgeiz wirft seine Tauben
über die Köpfe hinaus in Erwartung (hört, hört!)
brandneuer Welten.
5
Nein – ein klares,
entschiedenes Nein, das die Ware
eingepackt lässt, die harmlose Sendung
aus dem unendlichen All, All-Einen, All-Tosenden, all-
abwesend Schweigenden, dem exakt expandierenden Schierling –
Sagesse.
6
Unter der Linie, da
fehlt es an Wasser. Darüber vergisst sich
anderes leicht. Wer fragt schon, ob das Verlangen
der Fische zu schwimmen nicht den seit alters
kieloffen kreuzenden Fangflotten
abgeschaut wurde. Ein Rätsel für Theben.
Attacke
1Ein Rätsel für anderswillige. Kein
Gefährte nennt es sein eigen. Das rasende Knäuel, schwarz
springt es dich an, doch das hat Weile. Noch. Einstweilen
rennt es gegen sich selbst, ein Spielball
toller Gewalten. Das ist spaßig, entfacht, unfrei, ein
Katzengelüst.
2
Ein Blau, vollkommen, klar, schlägt
das Auge mit Scharfsicht. Dem steht
nichts im Wege, es sei denn, es nähert sich
in großer Eile. Was wenig besagt, denn
was das Auge weiß, hält auf Distanz.
Tod ist ›ab-rupt‹.
3
Ereiferung, sinnlos. Der Tod
hat kein Gesicht. Wer ›am Rande des Abgrunds‹
stand und nicht verstummte, dem läuft
leicht der Mund über: dort, im entsicherten Drüben,
gehen die Uhren verkehrt, aber sie ticken
heller denn je.
4
Aus aufgerissenem Mund
springt das Entsetzen, ein Schlag
ins Gesicht der Stille. Leben geht, im Kommenden
weiß es sich sicher. Was eben verflog, hat
keinerlei Wert, nur die ewige Zukunft liest
sich im Jetzt die Leviten.
5
Zukunft, FJUTSCHA, Futur: Wörter
aus Eisen. Sie gibt es, sie gibt es nicht
her. Der unvermeidliche Eintritt ins Heute
macht ihm den Garaus. Auf ewig geschieden von ihren
Getreuen knospt, blüht und verwelkt sie
in einem, im Nu, ihrem blindesten Einfall.
6
Im Tack Tack Tack dieser eilig stöckelnden Wesen
geschieht die Zerlegung: getaktete Zeit, als
behende vergehende, gleich vergessene, unter dem Knistern
knapp bemessener Röcke sprachlos zerhämmerte, pfeilgrad
entwichene ist sie im Kommen, ein Rausch, ins Jenseits
gespritzte Entladung.
7
Mit den Türmen
wechselt der Pendelschlag. Dieser plötzlich
gierige Blick redet von großer Härte, das ist, er begräbt
seine Toten und greift, ohne zu zögern, an, was ihm
zusteht. Verschlossen auf immer. Hiob denkt nicht, er ist
eine Schimäre gewiss.
Ispahan
1Wer ist es, der da schreit, ein Kind
oder ein Krüppel vielleicht? Tückische Frage. Der Unterschied
macht die Verwandtschaft. Sie befällt Angst,
wenn man ihnen zu nahe tritt oder
sich gänzlich entfernt, einfach geht, ohne sich
umzudrehen, ein letztes Mal, blicklos.
2
Das übersteht keiner. Es übersteht
sich ja selbst nicht. Es bleibt auf der Strecke.
Aber wo denn? Die Antwort, zwischen zwei Zügen,
lautet auf Stillstand. Auch das geht vorbei, niemand blockiert
dauerhaft den Verkehr, doch diesen Ärger
fürchten sie alle.
3
Also gehts, wie es geht. Es geht aber nicht, es liegt
zwischen den Polen. Ein anderer möchte nicht wissen,
wie es sich fügt. Wie fügt es sich denn? Fügt es sich?
Aber sicher. Kein Engel der Finsternis
tritt hervor, um das zu verhindern. Allenfalls
schreckt die Vernichtung.
4
Nichts schreckt. Darin
liegt ein Problem. Wie es lösen? In
Säure vermutlich. Am Ende läuft es
darauf hinaus ... schon im Anfang
löst es sich leicht. Mütterlich sein kann jede,
das gibt die Natur.
5
Erst der geschlossene Raum
enthält das Geheimnis. Es ist
so geheim, dass keiner ihm
näher tritt. Dafür sorgt schon der Raum.
Tränen lockt er hervor, und die Mechanik des Lächelns neckt
die immer erneuerte Foppung.
Ars amandi
1Immer zur Hand,
wenn Befreiungsbewegungen aus dem Untergrund tauchen:
der reisende Schriftsteller.
Ins Gespräch vertieft
mit Revolutionsführern,
Eindrücke mitnehmend
– liegen sie aus? –
in Raucherpose,
Rechenschaft ablegend
vor heimischen Zirkeln, mischt er, mischt
– geschickter Spieler –
das dokumentarische Genre
mit dem epischen,
helden-epischen,
verdankt sein Timbre
der Zahl namenloser Opfer,
dem Bericht über das Unheil –
Was ihm behagt: die präzise Rhetorik
offener Hemdkrägen, lässig geschulterter
Maschinenpistolen, flüchtig aufgeschlagener Lager,
konspirativer Treffs.
Der Typ des Aufbegehrenden,
jungenhaft
offen
autoritär.
Die Atmosphäre von Grandhotels,
der Anblick der Kormorane
machen ihn schwitzen.
Sein Sinn für Gerechtigkeit, seine Parteinahme
gegen die Unterdrückung
sind physiognomisch getrimmt.
Er ist eines der Männchen,
deren Schwarm sich im Drang zur Begattung
tanzend der Bienenkönigin nach in den klaren Himmel erhebt, bevor
das Wetter stürzt und sie
die Sturmböe verschlägt.
Seltener seine Besuche
in Ländern, deren Revolution von Erfolg gekrönt wurde:
die neue Etikette, die alten Phrasen,
der pralle Matador inmitten seines intrigierenden Hofstaats,
die Doppelzüngigkeiten und Zweideutigkeiten,
die Kontrollen und Drahtverhaue,
dies alles bedrückt ihn, er ist
der alte nicht mehr. Da hilft nur eins:
Ortswechsel.
2
Wer sich einen Namen gemacht hat,
hat nichts zu verschenken: so will es
die Weisheit der mittleren Jahre.
Vom Bombenleger zum Anleger –
ein kleiner Ruck, ein großer
Gong für die Menschheit, ein Mittagsgong ...
Tröstende Metamorphose,
dass kein Morgen mehr anhebt
(es sei denn in einer Zukunft,
die ohne ihn auskommen wird),
dass ein Tag sei,
der nie vergeht –
ein Schuh, der drückt, hier
lässt es sich leben, in dieser Hütte
tuscheln die Wände.
Seine neue Beweglichkeit,
seine rechte Gerade
lassen ihn staunen. Es wäre ein leichtes,
und er hielte Reden
auf die Weisheit der Vorsehung.
Doch etwas – ein kleines –
hält ihn zurück.
Auch Reisen mit leichtem Gepäck will gelernt sein.
Sinkt der Stil, steigt die Gewalt.
Gewendeter Lazarus
Als dannder gepeinigte Lazarus,
genervt, wie er sagte,
von dieser eigentümlichen Freiheit,
zu gehen und kommen
und wieder zu gehen,
wie es ihm beliebte
(und nicht nur ihm,
allen war dieses seltsame Kommen und Gehen,
als dessen besonders gelungene Variante dann
nach und nach das gefürchtete
Heuern und Feuern der Betriebe erschien,
auf den Leib gebrannt),
... ihm langsam das Kleingeld ausging
für die letzte Busfahrt; er also
Kassensturz machte,
da entschloss er sich kurz
wieder zu seinem Rollstuhl, diesmal
Modell DeLuxe (sein ›Bernsteinzimmer‹, wie er ihn nannte),
fuhr gemächlich damit durch die Straßen
der Stadt, die er kannte
auch wenn die Baufahrzeuge ihn diesmal
schikanös behinderten (wie manches andere,
über das zu reden gewesen wäre),
rollte, ein Lied summend, über die alte Brücke
und kippte sich in den Fluss, lächelnd,
ein letztes Mal lächelnd.
Es war die Stunde
der Westmedien, die mit den Ost-
Medien (den ehemals Ost-, jetzt ebenfalls
West-, aber noch
nicht, wie sagt man, nichts sagt man lieber,
gar nichts, es sei denn
keiner hört zu, dann erübrigt sich
manches, sofern einer zuhört,
der weiß, während der andere ...), sie alle
waren zur Stelle. Kameras surrten, es wurden
Parallelen gezogen, sich im Unendlichen kreuzend,
gleich olympischen Klingen, Kreise, Geraden, Schraffuren
verschiedenster Art, Mahnwachen zogen auf und die PDS
stiftete einen Kranz, auch hieß es schon, dass
endlich ein Wort,
ein Präsidentenwort, gesprochen in dieser schwersten
Stunde, den Bann werde lösen, den Fluch
der unvollendeten Einheit,
den bitteren Fluch der Stunde,
den bitteren,
werde lösen.
Er jedoch lag,
ein wenig feucht zwar, aber die Strömung
hielt ihn im Trend, so dass er gemächlicher faulte, sein Bein
pendelte lose, die Fische
schwammen drumrum,
am Ohr aber,
dem abwärts geneigten,
hielt, ganz unverkrampft, seine Hand
(seine Linke, um ehrlich zu sein) einen walkman.
Noch immer drangen die Stimmen
ins verschwisterte Ohr, das bald
abfallen würde, die machtvolle
Kakophonie.
Mitwisser bis zuletzt, hielt er
das schwarze Kästchen umklammert, black box,
ohnmächtig lauschend (»ausgeliefert«, wie die Agenten sagten)
dem Rauschen von hi-tec, nur mene-
tec war ihm fremd, nie gehört (wie hätte er sollen?),
doch diese Zufriedenheit
zwischen den Fischen,
den ihn umschwänzelnden,
sparte manches aus.
Ein Frühstück im Freien
Bein, übergeschlagen. WippenderFuß. »Der Tisch ist gedeckt, Signore.«
Zauberhaft. Die Tasse Kaffee, sie
steht bereit. »Il sole, si,
una bella giornata. Sie haben
gut geschlafen, nehme ich an.« Wer weiß.
Ein Frühstück im Freien, vertraut, fürs Museum. Auch
ein wenig Völkerkunde empfiehlt sich: primitiv, aber wirksam. Maiale. Pronto?
»Sie sehen blass aus
ein wenig. Sei Inglese, si? No? Wie war doch der Name?
SS?« Quasi. »Ai Hitler. Un scherzo, sol’ un scherzo. Il sole, si.«
Danach, immer danach. Lebenslänglich. Vorhang, gewebt
aus Exzessen. Fader Geruch
verbrannten Fleisches. Nie wieder. Das Blatt
hat sich gewendet, es stößt
an den Fuß: Nie wieder. Wer höbe es auf? Es
erschlüge ihn: loses loses Blatt.
Stimmen von Badenden. Gefältelt, verweht, hergetragen.
Baumkronen, licht. Zweige, zusammengetragen.
Nackte Kindersohlen, pitsch-patsch. Ab unter die Dusche:
Zieh dich an, zieh dich um. Verzieh dich.
Mit den Worten wechseln die Taten,
wechseln die Farbe. Nach einem langen Morgen
fühlt sich der Rotwein trockener. Die Kehle
lebt für den Durst. Diese Welt
gehört den Gestörten.
Die Betrogenen
Sacht beginnt die Stimme zu reden, das naheferne Murmeln, die überschlagende Brandung, die nichts
ansagt außer sich selbst, nichts weiter, dies aber
außer sich selbst, in diesem verstaubten Gehör: ich wünschte, es
ließe sich anders sagen. Doch so, als hielte mir jemand
eine gewundene Muschel ans Ohr, erwacht aufs neue die Foppung,
das schaukelnde Vor und Zurück, den Griff überrollend, der gerade
ins Leere ging, ein Nichtbegreifen, das schon den Salzgeschmack hat
und Geschrei der Möven.
Lisa, Lisa, leise
kommen die Silben, sie tauchen
ein ins Gemurmel, sie fallen,
so, wie sie kommen, zwischen die ringsum
bewanderten Stäbe, die im Geviert sich umtanzen
in einem fernher lallenden Rhythmus,
der sie nicht freigibt, es sei denn ...
Da liegt Anja, die Puppe, daneben
Anja, die Puppe, daneben, ich weiß, Anja ... noch eine ...
»mir mir«, was »mehr mehr« heißt, was heißt ...?
Einer zum Beispiel, das wäre
Anja schon wieder, doch anders. Auch Anja
ändert sich schließlich, dafür ist Einer das
richtige Wort. Zweifel? Der bleibt, wo er ist,
bleibt zurück. Hurta? Vorwärts. Einer ist keiner, ein komischer Einer,
einer zum Lachen, ein Spiel-Einer, ein Lukas, kaum
zum Verschwinden gebracht, fällt er rückwärts
wieder ins Spiel.
Kinder
gehen nicht fort, sie gehen
davon. Ort der gelben, blauen und roten
Fische. Einer ist keiner. Doch wer ist
Keiner? Dumme Frage. Kommt er gelegen? Er kehrt
wieder, das ist’s. Ein Aufbruch für beide, was finge
sich damit an? Wer es wüsste, sicher, er wäre
schon weiter. Aber daran ist nicht zu denken. Das Ungefragte, das aus
Argwohn erdachte, es zählt? Vielleicht, vielleicht nicht.
Einer ist keiner. Er geht. Auch darin
gleicht er dem anderen. Schon schrecken
zwei Aufbrüche, einander verschüttend, keiner
läßt den anderen aus. Vater und Sohn. Vorwärts, so
stolpern sie beide.
Da ist etwas Dunkles, Halbbemerktes, wir gehen
leicht darüber hinweg; nicht, um zu täuschen (wen wohl
täuschten wir außer uns und wen
träfen wir in uns, der nicht
längst davon wüßte), eher um Schritt zu halten,
Schritt mit uns selbst. Das überrascht, denn anders
wären wir kaum beieinander. Als es anfing, damals ging es mit uns
wie von selbst davon. Stockten wir – selten – ,
fiel es uns in den Arm. Bloß, heute durchwühlt es
uns manchmal, als wären wir zwecklos
entlaufen. Nacht. Hänsel und Gretel. Ein Licht, fern
allem Ziel, fällt über die Gleise. Huschte die Närrin nicht
zuckend zwischen den Bäumen – dein Haar sträubt sich, ich fühl’s –,
gewiss, wir zwei reisten
mit der Zeit, im verdunkelten Abteil. Und sprängen nicht neben ihm,
hechelnd, Suchleben, den Schotter
beschnuppernd, wo doch der Zug
rauschend enteilt. »Bahn Bahn« ruft die Kleine, »Ssssst!« Wir drücken sie eilig
ans Herz, das hämmert, Schlag um Schlag,
am Obelisk der Stunde.
Einspruch
1Si si Signora, Sie leiden
über Gebühr. Gewiss. Ich
auch – vermuten Sie – obzwar
mir nicht bewusst.
Einspruch, Signora:
Mein Leid, gut abgedichtet
gegen den Blick der Welt, es
möchte sich weder bemühen
noch bemüht wissen. Mein Leid (bitte
glauben Sie mir), es
hält sich in Grenzen, es kommt
nicht in Betracht.
Wäre es wenigstens Mitleid,
damit wäre schon
alles gesagt. Andere litten
schließlich, um dieses – sozusagen –
noblere Leid möglich
zu machen. Wie sie litten, das zu erläutern sind
Sie mir gewiss über, in diesen Wettkampf
mag ich nicht treten.
2
Der bessere Mensch, schreiben Sie,
ist der Leidendere. Nur zu! Da steigert sich manches.
Ich meine: Der gute Mensch ist der Zupackende. Sie, nun ja,
bewohnen das Auge des Bösen und blinzeln ein wenig
gegen die schwarze Sonne.
Recht haben Sie: Wo die Guten sich drängeln,
erstarrt die Schlange. Güte, rückwärts gewandt, verglüht
in Geschichten. Glauben Sie denn – im Ernst –, es machte sich einfach,
den Blick von den Heiligenbildchen zu reißen,
der Legenden zu spotten,
als man sie im Blut hatte?
Vielleicht war es nötig.
Die Gründe – welche? – sind abgereist.
Merkwürdig aber: sie blieben erhalten,
alle Ikonen, alle, kaum eine verschwand –.
Nur das verwitwete Leid, scheu
glimmt es, wie Asche. Ein Talisman, um den Hals
zu hängen; schmückt aber nicht. Die Gischt,
eingebildete Angst, sie brabbelt im Schatten.
Geborgte, leicht mitzuführende Kapsel,
am goldenen Kettchen, zwischen den Zähnen
zu knacken, schweigend.
Nina
Ich mag Katzennicht besonders. Ihr tödlicher Gang
lässt mich ans Alter denken und an
die Qual der Bewegung.
Ich akzeptiere sie, gut. Allerdings nicht
an jedem Ort. Mein Arbeitszimmer zum Beispiel
ist tabu. Erscheint eine am Fenster – was gelegentlich vorkommt –,
gleich sträubt sich mein Fell. Es fehlte nicht viel
und ich begänne zu knurren.
Eine – ich nenne sie
Nina – streicht hin und wieder vorbei; sie spränge
gern ins Zimmer, aber mein Blick
gibt ihr zu denken. So begnügt sie sich damit,
mich zu fixieren.
Hoch aufgerichtet – jedenfalls scheint es mir so –
schaut sie auf mich herab. Bequem wäre es,
sie zu verscheuchen. Doch ich halte stand.
Den Triumph, gejagt zu werden,
gönn’ ich ihr nicht.
Ich weiß, sie stiege
befriedigt davon. Ich hingegen
wüßte nicht, wie neu beginnen.
Einmal aus dem Tritt,
wär’ ich nicht mehr als ein Komma
in dem Kapitel, das sie
mit ihren trägen, leichten Schritten
ohne zu zögern durchquert.
Das Gesicht der Wüste
1Das Gesicht der Wüste
ist beweglich. Es entsteht hier oder da.
Es verändert sich nicht, denn
es trägt keine Züge. Während es hier zerrinnt,
formt es sich anderswo
anders. Keiner, der seine Sinne
beisammen hat, nennt es Feind. Keiner nennt es. Schweigend
gelingt, was gelingt.
Der Tag danach. Schutt allerorten. Worthülsen
über den Erdball verstreut, hier
wird scharf geschossen. Der Krieg
gegen die Wüste beginnt
mit entschiedenen Taten.
Wenn der Morgen graut,
legen die Krieger sich nieder,
ein Fehler vielleicht, doch
nicht ganz zu vermeiden. Wer meint, er habe
die gute Seite gewählt, den quert
die andere schlafend.
Die Idee der Gerechtigkeit
stirbt nicht im Sand, sie stirbt
in den Köpfen. Der Sand
bedeckt sie mit Gleichmut.
2
Unter den Dünen
treiben die Toten, auch diese
finden den Halt nicht, den ihnen
das Leben versagte. Gewendete Uhren, folgen
sie der Drift der Jahrhunderte.
Nichts erbrütet
der Sand, zwischen heiß und kalt
sprengt er das Seine. Das macht aber nichts. Die zerrissene Nähe
kehrt als Distanz wieder, als Äqui-
Distanz zwischen den Polen der
Nicht-Einmischung und der verhängten Entbehrung,
gut erkennbar auf Grabbeigaben
oder im Turnus der Opfer,
The Human Race –
Land-Flüchtige selbst
aus dem leblosen All, rundherum
Häutige. Gegen den Widerspruch klagt
zwecklos, das Leid.
Das Gesicht der Wüste
ändert sich nicht, es bleibt
durchaus, wie es ist. Es ist aber nicht. Währenddessen
träumt es zu sein. Unter dem Sternbild des Schützen
dehnt es sich dunkel, ein
randloser Krater im Überstieg aus dem Erschlossenen
ins stetig Gemeinte.
Sigillum Novæ Civitatis
1Das Augentier, flach in der Sonne,
aufrecht. Bloß ein Flimmern zeigt an,
dass es lebt. Wenn eine Kamera aufblitzt,
zuckt es zusammen: Ein Innenleben!
Aber das will nicht viel heißen. Es schiebt
sich weiter, als flute es im Gedränge, als
öffnete sich neben und hinter ihm der Asphalt
und zückte sein Inneres. Da bewegt man sich gern.
Manchmal verhält es sich sinnend.
Ein Geruch weht die Straße herauf oder ein Deli
erbricht sein Inneres. Langsam klärt sich der Blick. Dort stand
früher ein anderer Turm, heute dieser. Alles ist wirklich.
2
Nichts ist wirklich. Dieser Turm,
d’un altr’epoca, trägt die Zeichen verwitterter Würde –
den geflügelten Löwen, darunter die amtliche Trauer
›per i morti nelle guerre della indipendenza‹.
Auch die eiserne Uhr gibt zu denken. Ihr rasselnder Gang
spannt den Bogen zum Schuss in den allzeit
offenen Himmel. Dem Stein-Löwen, einen Wurf weiter, verpasst,
recht beschaut, der allmächtige Smog einen Schweinerüssel.
Derlei passiert. Mit dem Wechsel
kommt und geht der Verstand. Meist bleibt
es dem Reisenden gleich. Er reibt sich die Augen.
Aber es drückt bloß die Brille. Besser, man geht jetzt.
Schiffbruch. Ein Nachtrag
Das Auge, unvertraut dem Licht, es findetam Horizont der Wünsche blauen Rauch.
Das Ohr, Hohlform der Brandung, es ertrinkt
im Meer, das riecht nach Schweiß und Öl, doch ein
Geschmack von Pfeffer klebt am Gaumen, unerklärt.
Die Hand, nach Formen gierig, wühlt im Schutt.
Doch schmerzlichschön die Bilder im Gedicht.
Das Meer ein Taschentuch für die Augen,
heimlicher Schiffbruch im Schatten,
die Sonne entblättert, giftig die Früchte
des Landes ohne Qual, mediterran,
›Rien qu’un temps de soleil enterré.‹
Bizarres Weinlaub ... Lücken im Verständnis
beschwichtigt durchs Gefühl; wer nichts begreift,
macht sich ans Deuten: hier und da und dort.
Melancholie schließt auf, sie weiß Verwendung,
sie hat den Kompass, doch sie scheut den Weg.
Umsonst die Fahrt! Vor Reisen wird gewarnt.
Umsonst die Bilder ohne Scham; Selbstmörder
bewundern nicht den Glanz verwandter Seelen.
Keine Prospekte bitte! Still, egalitär
drängelt man dort dem Ausgang zu, Beleuchter
sind nur gefragt, wenn es ums Ganze geht
und nicht ums Teil; wer einzeln stirbt, stirbt grußlos.
Die Wahrheit findet Platz auf einer Karte.
Doch das sind Fragen des Formats. Die Kunst,
ein Kartenhaus. Madame Sosostris, famous
clairvoyante, weiß Rat, obgleich gezinkt: ›Fear death by water!‹
Gesetzt auf diese Karte, wer gewinnt?
Die Post war pünktlich, doch das Spiel ist aus.
Sacré
Natürlich hast du recht, wenn du es tust.Wirf diese Zeilen fort, sie brennen,
sie brennen, während du sie liest, in dir
und lichterloh auf deinem Schreibtisch fort.
Wirf sie ruhig fort. Gestatte ihnen nicht,
(grässliche Sprache, ekelhaftes Wort)
sich deiner zu bemächtigen, es sei denn
zum Spiel nur, blinzelnd, innen abgewandt.
Du liest ... du liest ... nicht mehr. Ich weiß, der Blick,
der gerade noch auf diesen Zeilen lag,
ist fort. Ich kann nicht sagen, dass
ich es verstehe, das nun nicht, I never understood
what happened fifteen years ago –
so bring’s mir bei. (Du siehst, ich schreibe
in jeder Sprache, so es deine ist,
in einer unbekannten, warum nicht :–)
Wirf diese Zeilen fort, falls sie dich
quälen sollten, denn das lag nicht
in meiner Absicht. Aber quält man jemanden,
der ganz verschwunden ist, indem man ihn an etwas
erinnert, das von ihm beseitigt wurde
wie ein Kadaver, totes Vieh, obwohl es
noch ganz lebendig sich in uns bewegte
und nicht so recht zu unterscheiden war
von dir und mir (zumindest kommt es mir so vor)?
Ich weiß es nicht, du weißt es besser, aber hältst
den Daumen drauf, das ist
dein Recht, du hast es dir erworben
mit der Geburt vielleicht, da liegt der Fehler.
Wie du es legst, so liegt
es, daran herrscht kein Zweifel, doch dass
Zweifel herrscht, das weiß die Sprache
ganz von allein, sie braucht dazu
nicht unser schwaches Blatt, nicht deins, nicht meins.
Kein Zweifel ist der Tod, versichern
die Dialektiker, in diesem Punkt jedoch
zeigt sich der Irrtum transparent:
Kein Zweifel ist der Anfang der Gewissheit,
dass du erloschen bist – in dir, in mir –,
dass kein Atlantikflug dich wieder herbringt,
dass keine aufgeschobene Tätigkeit
dich so verwandelt, dass die vor mir steht,
die mir entging. In deinem Alter ist
Starrsinn das Beste. Sei ein guter Mensch, das ist
Härte genug, vergiss den Rest. Wie du
es legtest, folge ich, du warst mir jedes Mal
ein Stück voraus – seit der Geburt,
die dir ein Dorn war, seit dem Tod der Mutter, die mich
dir anvertraute und dann blicklos ging –
ein böser Fehler, doch das wissen nur
die wenigsten, und vom Begreifen
sind sie so weit entfernt wie alle.
Du hast den ausgespieen, den
du Vater nanntest, nur
da war ein wenig Auswurf mit dabei:
der kleine Bruder, der so klein nicht mehr
und so mit dir verschwistert war, dass er
den Fluch auf sich bezog, beziehen musste,
obwohl ihn mit dem Alten nichts verband
als das, wofür du diesen straftest, denn
das wars. Nicht mehr, nicht weniger. Abkehr
ist das Geringste, ohne Wiederkehr
treibt sie den Hass zum Äußersten.
Im Lande der Besiegten ist das Recht
von Hass getränkt, wer es sich nimmt, der nimmt
es einem andern weg und weiß es auch.
Wer geht, der geht, die Lücke, die er riss,
bleibt nirgends offen. Dafür sorgt
das Leben selbst. Arm-, beinlos, ohne Grund
stemmst du Gewichte, die entwichen sind,
sobald du sie berührst, doch mindert das
nicht im geringsten die ›erbrachte Leistung‹,
die keiner will, die keiner
vermisst hat, als sie in dir lag. Jetzt liegt
sie hinter dir, und vor dir liegt,
was liegen blieb, ein Block, an dem
sich schon die Nächsten stoßen, weil
das Ärgernis nicht nachlässt, sondern bleibt.
Tholos
Weiter geht es, doch auchnicht zu weit, das heißt,
kein Schritt beredet mich hier
zu Hause zu sein. Überhaupt
zählen Schritte hier weniger, gelten
kaum mehr als Versuche, ein Rund
zu erkunden. Schach. Das Pflaster im Kreis,
schwarz und weiß erblüht:
ΦΟΡ ΑΡΧΕΟΛΟΓΙΣΤΣ ΟΝΛΨ
Wo ein König fiel oder ein Demos,
herrscht dieses Spiel. Rede, buch-
stäblich genommen. Im Wort
trauert ein Ort, unversetzbar, doch über-
setzt liest man es gern. Führung, ein-
gedenk allen Staubs,
mästet den Charon.
Mürbe Spiele. Dieses Ei
liegt in der Hand, als wöge
es mehr. Das mag sein; unter dünner Schale
pocht ein kommendes Herz, bloß in Gedanken.
Daraus wird nichts. Allein, kühl erwogen
verzehrt es sich leichter. Gekocht
wird immer.
Da ist ein Reiz, der nicht weggeht:
aus gewaschenem Stein die Spuren menschlicher Arbeit
lesen wie aus dem Weg der Katze den Flug
des Vogels. Arbeit wandelt
sich in Empfinden. Empfindung will,
dass Arbeit nicht ausgeht, am Ausgang
steht das Bestimmungslose, der Rest.
Immer ist es ein Gott, die Zeit
frisst den Gedanken an nichts.
Der Blick zurück genießt
ihre Umschläge kalt.
Der Blick schweift, sagt man,
doch es ist eine Lüge.
Keine dreiste, doch immerhin
eine Lüge.
Unter dem mühsam sich hebenden Lid
bleibt für den Streuner kein Raum.
Der Prophet geht zu Fuß
Es istein weiter Weg von der zweiundvierzigsten Straße
bis zum Battery Park. Schneller läuft es sich da
von Santa Maria dei Servi
zum Monte Berico. Aber die doppelte Jungfrau
wiegt nicht die eiserne auf, selbst im Geringsten. Auch diesen
presst die Hoffnung, spes:
beschwerliche Last.
Niemand
begriffe das besser als der Gehäutete droben
über den Kuppeln Vicenzas.
Artig trägt er die Hülle,
fast wie ein Kellner, gefaltet
über dem Arm. Nein, nicht zu Markte, zu Tisch
trägt er das Seine.
Bloß zurück
tragen die Füße nicht mehr. Zurück
bringt dich der ›Subway‹, ein lässiges Wort,
nicht so verwegen wie ›Untergang‹ oder ›Hingang‹,
eins, das verspricht, was es hält, obzwar...
mit Ächzen. In der Sache
bleibt es sich gleich.
Wer als Tourist kommt,
geht als Tourist. Der Veteran bleibt. Beinlos
rollt es sich leichter. Schon ein Brett
reicht dafür aus. Ein Manko: die Knöpfe im Aufzug
sind schwer erreichbar. Zu viele
wollen nach oben, wer träumt,
lernt das Drücken beizeiten.
Komm
Komm komm, sagt meine Stimme, ich folgeleise. Aber wo ist sie? Die Luft, das Wasser
enthalten sie nicht, vergeblich geh ich – ach was! Geht denn einer
hinaus? Wozu? Aber die Luft, sie geht
durch mich hindurch, im Austausch geht sie
für mich dahin. Weiß sie etwas? Und wüsste sie, was
geht mit ihr dahin? Nur gegen mich
tauscht sie sich aus, beladen kommt sie hervor,
anders. Und ist, kaum verlässt sie mich, Luft.